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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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solange mir noch ein wenig
Zeit bleibt, um in die Augen zu schauen von Anna Scharrer.« Anna stand auf,
küßte mich auf die Stirn. »Sie müssen jetzt gehen.«
    Ich fragte nicht nach und ging.
Ohne Beteigeuze gesehen zu haben. Ohne sie um ein Wiedersehen gebeten zu haben.
Gelassenheit, sagte ich laut zum Taxifahrer, wissen Sie, wie man die ansiedeln
kann bei sich zu Hause, obwohl man sie gar nicht mag, so als Haustier?

Zweiundzwanzig »Swinburne empfand das Fragment Kubla Khan als das höchste Beispiel
englischer Sprachmusik; jemand, der imstande sei, es zu analysieren, könnte
auch (die Metapher stammt von John Keats) einen Regenbogen zerlegen.
Übertragungen oder Résumés von Gedichten, deren Haupttugend die Musik ist, sind
vergeblich und können verhängnisvoll sein; begnügen wir uns zunächst mit der
Tatsache, daß Coleridge in einem Traum eine Seite von unbestreitbarem Glanz
geschenkt wurde.
     
    Der Fall, wiewohl außergewöhnlich,
ist nicht einzig. In der psychologischen Studie The World of Dream hat
Havelock Ellis ihn mit dem des Geigers und Komponisten Giuseppe Tartini
verglichen, der träumte, daß der Teufel (sein Diener) auf der Geige eine
wunderbare Sonate spielte; nachdem er aufgewacht war, leitete der Träumer aus
seiner unvollkommenen Erinnerung den Trillo del Diavolo ab. Ein anderes
klassisches Beispiel unbewußter Hirntätigkeit ist das von Robert Louis
Stevenson, dem ein Traum (wie er selber in seinem Chapter on Dreams berichtet hat) den Plot von Olalla eingab und ein anderer, 1884, den von Jekyll
and Hyde. Tartini wollte im Wachen die Musik eines Traums nachspielen;
Stevenson bezog aus dem Traum Themen, das heißt allgemeine Formen; der
wörtlichen Inspiration Coleridges steht jene näher, die Beda Venerabilis dem
Caedmon zuschreibt (Historia ecclesiastica gentis Anglorum, IV, 24). Der Fall
ereignete sich gegen Ende des 7. Jahrhunderts im missionarischen und
kämpferischen England der angelsächsischen Königreiche. Caedmon war ein grober
Hirte und nicht mehr jung; in einer Nacht stahl er sich von einem Festmahl
fort, weil er damit rechnete, daß man ihm die Harfe reichen würde, und er
wußte, daß er nicht singen konnte. Er legte sich im Stall nieder, bei den
Pferden, und im Traum rief ihn jemand beim Namen und befahl ihm zu singen.
Caedmon antwortete, er könne nicht, aber der andere sagte: ›Sing den Anfang der
Schöpfung.‹ Daraufhin sagte Caedmon Verse, die er nie gehört hatte. Er vergaß
sie beim Aufwachen nicht und konnte sie vor den Mönchen des nahen Klosters Hild
wiederholen. Lesen lernte er nicht, aber die Mönche erklärten ihm Stellen aus
der Heiligen Schrift, und er ›käute sie wieder wie ein reines Tier und
verwandelte sie in Verse von größter Lieblichkeit und sang so die Erschaffung
der Welt und des Menschen und die ganze Geschichte der Genesis und den Auszug
der Kinder Israels und ihren Einzug ins Gelobte Land und viele andere Dinge der
Schrift, und die Menschwerdung, Passion, Auferstehung und Himmelfahrt des Herrn
und die Ausgießung des Heiligen Geistes und die Lehrtätigkeit der Apostel, und
auch den Schrecken des jüngsten Gerichts, das Grauen der Höllenstrafen, die
Wonnen des Himmels und die Gnaden und Richtersprüche Gottes‹. Er war der erste
heilige Dichter des englischen Volkes; ›niemand kam ihm gleich‹, sagt Beda,
›weil er nicht von den Menschen lernte, sondern von Gott‹. Jahre später
weissagte er die Stunde seines Todes und erwartete sie schlafend. Hoffen wir,
daß er seinem Engel wiederbegegnet ist.
     
    Auf den ersten Blick läuft der
Traum Coleridges Gefahr, minder erstaunlich zu wirken als der seines
Vorgängers. Kubla Khan ist eine großartige Dichtung, und die neun Zeilen
des von Caedmon geträumten Hymnus zeichnen sich durch kaum etwas anderes aus
als ihre Traumherkunft, aber Coleridge war bereits ein Dichter, während Caedmon
eine Berufung geoffenbart wurde. Es gibt aber eine weitere Tatsache, die das
Wunder des Traums, in dem Kubla Khan hervorgebracht wurde, bis zur
Unergründlichkeit vergrößert. Wenn diese Tatsache zutrifft, dann ist die
Geschichte vom Traum Coleridges um Jahrhunderte älter als Coleridge und hat ihr
Ende noch nicht erreicht.
    Der Dichter träumte im Jahr
1797 (andere sagen im Jahr 1798) und veröffentlichte die Mitteilung seines
Traums im Jahr i 8 t 6 als Glosse oder Rechtfertigung des
unvollendeten Gedichts. Zwanzig Jahre danach erschien in Paris als Fragment die
erste abendländische Fassung einer jener

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