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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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Universalgeschichten, an denen die
persische Literatur so reich ist, die Geschichtensammlung von Rashid-ed-Din,
die aus dem 14. Jahrhundert stammt. Auf einer Seite ist zu lesen: ›Im Osten von
Shang-tu errichtete Kublai Khan einen Palast nach einem Plan, den er in einem
Traum geschaut und im Gedächtnis behalten hatte.‹ Der das schrieb, war der
Wesir von Ghazan Mahmud, einem Nachkommen Kublais.
    Ein mongolischer Kaiser träumt
im 13. Jahrhundert einen Palast und erbaut ihn nach dem Vorbild seiner Schau;
im 18. Jahrhundert träumt ein englischer Dichter, der nicht wissen konnte, daß
dieses Bauwerk sich aus einem Traum herleitete, ein Gedicht über den Palast.
Verglichen mit dieser Symmetrie, die mit den Seelen schlafender Menschen
arbeitet und Kontinente und Jahrhunderte umfaßt, sind, wie mir scheint, die
Levitationen, Auferstehungen und Erscheinungen der Erbauungsbücher nichts oder
sehr wenig.
    Welche Erklärung sollen wir
vorziehen? Wer das Übernatürliche von vornherein ausschließt (ich versuche
immer, diesem Gremium anzugehören), wird behaupten, die Geschichte von den
beiden Träumen sei ein Zusammentreffen, eine vom Zufall entworfene Zeichnung,
so wie die Umrisse von Löwe oder Pferd, die manchmal Wolken ergeben. Andere
werden argumentieren, daß der Dichter irgendwie vom Palasttraum des Kaisers
wußte und dann behauptete, er habe das Gedicht geträumt, um eine glänzende
Fiktion zu erschaffen, die gleichzeitig das Unvollständig-Rhapsodische der
Verse mildern oder rechtfertigen sollte. Diese Vermutung ist wahrscheinlich,
aber sie nötigt uns, willkürlich einen von den Sinologen bisher nicht
identifizierten Text zu postulieren, in dem Coleridge vor 1816 den Traum von
Kublai hätte lesen können. Verlockender sind die Hypothesen, die über das
Rationale hinausgehen. So könnte man beispielsweise annehmen, daß die Seele des
Kaisers, nachdem der Palast zerstört war, in die Seele Coleridges eindrang,
damit dieser ihn wiederaufbaue in Worten, dauerhafter als Marmor und Metalle.
    Der erste Traum fügte der
Wirklichkeit einen Palast hinzu; der zweite, der sich fünf Jahrhunderte später
ereignete, ein Gedicht (oder den Anfang eines Gedichts), das von dem Palast
angeregt war; die Ähnlichkeit der Träume deutet auf einen Plan; die ungeheure
Zeitspanne verrät einen übermenschlichen Urheber. Das Vorhaben dieses
Unsterblichen oder Langlebigen ergründen zu wollen, wäre vielleicht nicht
minder kühn als unnütz, doch darf man vermuten, daß er mit ihm nicht zu Ende
kam. 1691 stellte Pater Gerbillon von der Gesellschaft Jesu fest, daß von
Kublai Khans Palast nur Trümmer übrig waren; von dem Gedicht wissen wir, daß
knapp fünfzig Verse gerettet werden konnten. Derlei Tatsachen lassen die
Vermutung zu, daß die Folge der Träume und der Arbeiten ihr Ende noch nicht
erreicht hat. Dem ersten Träumer wurde in der Nacht die Schau des Palastes
geschenkt, und er erbaute ihn; dem zweiten, der von dem Traum des Früheren
nicht wußte, das Gedicht über den Palast. Wenn es bei dem Schema bleibt, wird
vielleicht jemand in einer Nacht, von der wir durch Jahrhunderte getrennt sind,
den gleichen Traum träumen und nicht ahnen, daß andere ihn geträumt haben, er
wird ihm die Form von Marmor oder Musik geben. Vielleicht wird die Traumreihe
nie zu Ende sein, vielleicht ist der Schlüssel zu ihr im letzten Traum.
     
    Nachdem ich das Vorstehende
geschrieben habe, sehe ich eine andere Erklärung oder glaube sie zu sehen.
Vielleicht ist ein Archetyp, der den Menschen noch nicht offenbart wurde, ein
ewiger Gegenstand (um Whiteheads Nomenklatur zu verwenden) auf dem Wege,
allmählich in unsere Welt einzutreten; seine erste Manifestation war der
Palast, die zweite das Gedicht. Wer sie verglichen hätte, der hätte gesehen,
daß sie im wesentlichen gleich waren.«
     
    Jorge Luis
Borges, aus: Buch der Träume, 1974.

Dreiundzwanzig Martin war nicht ein
unangenehmer Student. Seine Thesen waren, wovon ich mich nach einer ersten
Textprobe überzeugen konnte, geschickt formuliert und sorgfältig untermauert.
In manchen Augenblicken konnte ich mir sogar vorstellen, daß sein roter
Haarschopf eine Art geistige Entflammtheit widerspiegelte. Der Vorteil an
dieser Tatsache war, daß es mir nicht besonders schwerfiel, mich in seiner Nähe
aufzuhalten und seine Konversation über mich ergehen zu lassen.
    Meine Rolle als Wolf im
Schafspelz gefiel mir; was von meinem Gewissen noch übrig war, glich keinem
Nagetier, sondern eher einem luftigen

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