Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
Vom Netzwerk:
Kaktus-Imitats beförderte, ihren Martin, der den
ketzerischen Akt nicht bemerkt hatte, treuherzig anlächelte, sich mit der
Linken aus seiner Brusttasche eine Camel fischte und mit dem Charme einer
wohlwollenden Gönnerin mehrerer Gefährten sich von mir Feuer geben ließ,
während sie Martin ein »bestellst du mir bitte einen trockenen Weißen«
entgegenhauchte. Solche Momente sind nicht leicht zu verkraften, vor allem,
wenn die Angebetete die ihr gebotene Hand mit dem demütig dargereichten
Feuerzeug auch noch kurz in die ihre bettet. So nuckelte ich weiter an meinem
Kakerlakenkiller, sehnte mich innigst nach einem Riesling Smaragd und Annas
Fingerkuppen überall — und Martin kam langsam in Fahrt.
    »Wordsworth«, sagte er, das Portweinglas
über seinen Feuerlocken schwenkend, als wollte er sich gleich selbst taufen,
»war immer der, den nichts erschüttern konnte.« Wenigstens gab er seinen Helden
keine Flaustiernamen mehr.
    »Darum glaubt ihr immer alle,
die Höhenflüge von Coleridge, dem Windbeutel, wären ihm zu verdanken. Ein
schneller Aufschwung von festem Boden aus.« Nun kam die Pause, die ich schon so
gut kannte, die ich manchmal unterbrach, um ihn bezüglich der Unschärfe von
Begriffen wie »ihr alle« und »immer« in die Pflicht zu nehmen, schließlich war
er mein Doktorand, genau, ich bin der Meister, warum bestelle ich nicht einfach
eine Karaffe Veltliner für mich und Anna, oder eine für mich allein?
    »In Wirklichkeit«, sagte
Martin, und ich kenne bei meiner Philologenehre niemanden sonst, der diese
Phrase so unschuldig zu gebrauchen vermag, dermaßen epistemologisch unbeleckt,
»in Wirklichkeit hätte Coleridge noch Jahre so weiterschreiben können, weit
über 98 hinaus, hätte Wordsworth ihn nicht so brutal heruntergezogen in seine
festgefügte Bürgerwelt.« In solchen Momenten pflegte ich Martin zwar auf das
Krude seiner Formulierungen hinzuweisen, gab ihm aber dennoch zu verstehen, daß
ich der Tendenz seiner Thesen einiges abgewinnen konnte.
    Anna mischte sich niemals in
unsere Diskussionen ein, aber gerade, wenn wir über das magische Jahr
spekulierten, verzog sich ihr Mund zu einem hybriden Lächeln, halb spöttisch,
halb mitleidig, als sähe sie zwei Blinden zu, die in einem hell erleuchteten
Raum herumtappten, mühsam die Gegenstände abtasteten, um sich ein Bild zu
machen, während sie selbst alles sehen konnte, in schrecklicher Klarheit. Oft
stand sie dann plötzlich auf, sagte kokett Sätze wie »ich lasse meine beiden
klugen Männer jetzt kurz allein«, schlenderte zur Bar, kippte einen doppelten Pure
Malt oder Remy Martin und verwickelte andere Gäste in Gespräche. Binnen kurzem
wehte dann lautes Gelächter von der Bar herüber, und ich versuchte, mir nicht
anmerken zu lassen, daß ich lieber Annas Plaudereien gelauscht hätte als
Martins Monologen.
    Gelegentlich konnte mich der
Furor seiner Parteilichkeit dennoch beeindrucken. »Eigentlich«, sagte er
einmal, auch eines dieser Wörter, daß ich ihm vergeblich abzugewöhnen versucht
hatte, »eigentlich war Wordsworth eine Schöpfung von Coleridge, und wie fast alle
seiner großen Schöpfungen hat er auch ihn nicht vollendet.«
    Es bestand kein Zweifel, daß
Martin diesen Satz gestohlen hatte, aber ich kannte ihn noch nicht, und guter
Diebstahl verdient Achtung. Ich bestellte noch zwei Sandeman, gewissermaßen als
Geste selbstloser Anerkennung, und von der Theke lächelte Anna mir zu,
verschwörerisch, wie mein Elf behauptete.
    Gelegentlich konnte ich der
Versuchung nicht widerstehen, Anna tagsüber anzurufen. Nur tagsüber, abends war
zu riskant. Sollte ich dennoch das Pech haben, daß Martin den Hörer abhob,
würde mir schon etwas einfallen. Einfach aufzulegen wäre zwar keine gute Idee,
und als Stimmenimitator bin ich eindeutig minderbegabt, aber schwierige
Situationen meistert man doch am besten im Augenblick ihres Eintretens. Doch es
kam nicht dazu. Immer, wenn ich anrief — niemals ohne mich während des Wählens
mehrmals prophylaktisch zu räuspern, denn ein Anrufer, der einen Knödel im Hals
hat, verheißt selten Gutes lief die Maschine. Kein Text übrigens, sondern ein
Musikstück, »welcome to another world«, soweit ich das Geplärre verstehen
konnte. Irgendein MTV-Zeugs vermutlich. Hätte ihr eine bessere Wahl zugetraut,
nach dem Erlebnis mit der Verklärten Nacht.
    Sooft ich es auch versuchte —
und in meiner hartnäckigsten Periode geschah das bis zu viermal täglich — ,
niemals hob sie ab.
    Anna war für

Weitere Kostenlose Bücher