Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
Vom Netzwerk:
während meiner kleinen Ansprache mit den
Händen in der Luft herum, um Begeisterung zu signalisieren; daß Anna
aufgestanden und auf mich zugegangen war, hatte ich nicht wahrgenommen, und als
ich völlig unvorbereitet ihre Hand auf meiner Schulter spürte, flutete meine
alte Pumpe das Kanalsystem meiner Venen und Arterien, Schleusen offen!, das
Blut schoß mir durch den Körper, als wollte es durch irgendeine Öffnung nach
draußen, und schon fürchtete ich mich sehr.
    Anna zog ihre Hand weg und
lachte mir ins Ohr. »Nicht auf der Karte, Sie Papierfetischist. Kommen Sie,
draußen wartet das richtige Leben.«
    Draußen, das war die Terrasse,
und der komische Gegenstand auf dem Tischchen war vermutlich ein Fernrohr. »Ein
Reflektor«, korrigierte mich Anna, »ein Spiegelteleskop, keine aufregende
Brennweite, aber für zu Hause reicht’s. Mount Palomar für Arme. Was möchten Sie
sehen?«
    »Was gibt es denn so?« fragte
ich, immer noch wackelig von meinem Leidenschaftsanfall. Die frische Luft
regenerierte mich nur ungenügend.
    »Sie haben wirklich keine
Ahnung, stimmt’s? Sterne, Planeten, Galaxien, alles spanische Dörfer?«
    »Potemkinsche«, sagte ich, ein
wahrer Pappnasenscherz. »Also gut«, Anna warf einen prüfenden Blick auf ihr
Element, den Himmel, »zu dieser Jahres- und Nachtzeit könnte ich anbieten:
erstens, Jupiter mit zumindest acht sichtbaren Monden. Zweitens Sirius,
hellster Fixstern, scheinbare Helligkeit natürlich, eigentlich ein Doppelstern.
Drittens den Schwertnebel im Orion, M 42. Und eine Menge roter Überriesen.«
    »Nebel«, sagte ich schwach,
»Nebel klingt gut.«
    Anna hockte sich auf den
Campingsessel, schaute durch einen kleinen Zylinder, der auf dem großen
Zylinder montiert war, veränderte die Neigung des großen Zylinders
millimeterweise, bis sie ihn schließlich festschraubte. »Reflektor justiert«,
verkündete sie, »bitte sehr.«
    Ich setzte mich vor das Gerät,
sah ein paar Lichtpunkte, sagte etwas wie Oh! oder gar Wow!, aber Anna hing
schon halb über der Brüstung vor Lachen, ich verstehe den Witz nicht, sagte
ich, das ist das Suchfernrohr, sagte Anna, Sie müssen durchs Okular schauen.
Beschämt ließ ich mir das Okular zeigen und versuchte es erneut.
    Ich sah einen von
Phosphorinsekten durchwimmelten Tümpel, von dessen Rändern Schlieren in Purpur
und Violett in den Weltraum davonspritzten, eine erstarrte Explosion, Folgen
eines göttlichen Tritts in die kosmische Pfütze, was weiß ich. Es war
wunderbar, ich konnte nicht ablassen vom Okular, ich fixierte einen der
Lichtpunkte und taufte ihn Fluchtplanet von Alex & Anna, dann
entdeckte ich die graue Muräne, die ihr Maul von unten in den Tümpel schob, den
Chitinpanzer des Riesenkäfers an der rechten Flanke des Nebels, schillernd in
Indigo und Scharlach.
    »Nicht schlecht, finden Sie
nicht«, sagte Anna.
    Orion sei Dank legte sie mir
dabei nicht wieder die Hand auf die Schulter, sonst hätte ich ihren Reflektor
wohl in einem Reflex über die Brüstung gekippt.
    »Wunderschön«, sagte ich,
nachdem ich mich losgerissen hatte, »Ihr M 42«.
    Anna strich sich die Strähne
aus der Stirn, ihre Augen blitzten, sie war richtig stolz auf ihr Weltall.
    »Möchten Sie«, fragte sie,
»vielleicht eine Zugabe?«
    »Am liebsten«, sagte ich in
frisch erwachtem astronomischen Enthusiasmus, »würde ich alles sehen.«
    »Eine Reihenfolge wäre gut.«
    »Vielleicht zuerst meine
Verwandten da draußen.«
    »Sie sprechen in Rätseln.«
    »Rote Überriesen.« Ach, halt
den Mund, Pappnase. Handbuch für Standardsituationen, Kapitel eins, einer macht
einen Witz, der andere lacht nicht. »Ich wäre natürlich«, sagte ich schnell, über
eine kurze Einführung dankbar.«
    »Mit Vergnügen«, sagte sie,
holte die Gläser aus dem Wohnzimmer und stellte sie vor uns auf die Brüstung.
Eine ganz ausgezeichnete Idee, fand ich.
    »Beginnen wir mit Ihrer ersten
Frage: Die Farben der Sterne. Nein, keine grafische Spielerei, wie Sie in M 42
schon festgestellt haben werden.«
    Es folgte ein hinreißender
kleiner Vortrag über Oberflächentemperaturen, Materiedichte, Gravitation und
Gasdruck. Sie erklärte mir die Spektralanalyse, mit deren Hilfe man die
chemischen und physikalischen Vorgänge auf der Oberfläche eines Sterns exakt
messen konnte, erzählte von weißen Zwergen und blauen Riesen, Supernovae und
Pulsaren. Ich hing an ihren Lippen.
    »Und das System der
Spektralklassen, dem man jeden Stern zuordnen kann«, sagte sie abschließend,
»nennt

Weitere Kostenlose Bücher