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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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Wölkchen, das sich gelegentlich zwischen
mich und die Sonne schob. Ich fühlte mich wie ein Edelmann, der wegen eines
zwar nicht legalen, aber legitimen Verrats in Vogelfreiheit zu leben gezwungen
war, eine Art Robin von Locksley der höheren Liebesverschwörung, allerdings mit
dem Wappen Annas statt mit dem von Richard Löwenherz auf dem Schild. Martin
taugte in meiner Phantasie zwar weder zum Sheriff von Nottingham noch zu Sir
Guy of Gisbourne oder gar zum oberbösen King John, aber aus irgendeinem Grund
wollte sich mein Verstand von dieser ganz in Grün getauchten Vorstellung nicht
trennen, sodaß ich mich beim gelegentlichen Billardspielen mit Martin und Anna
fühlen konnte, als wäre ich im Sherwood Forest. Der Queue war mein unfehlbarer
Pfeil, und Lady Marianne lachte laut auf, wenn ich traf. Aber nur, wenn Martin
mein Gegner war. Martin organisierte die Abende, reservierte die Tische. Wir
spielten gewöhnlich klassisches Pool, jeder gegen jeden, wer nicht dran war,
schaute zu. Was ich dabei von Anna wahrnahm, verunsicherte und bestärkte mich
zu gleichen Teilen. Wenn Anna mit mir die hölzernen Klingen kreuzte, kämpfte
sie verbissen um jeden Punkt. Ich habe einmal erlebt, wie sie, nachdem sie die
schwarze Acht in ein falsches Loch geschickt hatte, in einem eher noblen Lokal
in Hernals vor versammelter Belegschaft ihren Queue mit einem pfauenähnlichen
Schrei auf dem Boden zerbrach und unmittelbar darauf, in unwiderstehlicher
Zerknirschtheit, sich mit dem Geschäftsführer über den Preis für dieses
Vergehen verständigen konnte. Meistens aber, und das sage ich ungern, besiegte
sie mich. Spielte sie mit Martin, wurde sie nachlässig, zerstreut, ihr Ehrgeiz
verflüchtigte sich.
    Wenn
sie dann verlor, schien sie es erst wahrzunehmen, wenn wir die nächste Runde
begannen und die Kugeln ins Dreieck schlichteten. Sie küßte ihn flüchtig auf
die Wange, come rain or come shine, und konzentrierte sich auf das
nächste Spiel. Spielte Martin mit mir, geschah etwas mit ihr, das ich nicht
verstand.
    Obwohl sie sich während des
Spiels immer wieder an ihn zu schmiegen pflegte und ihre körperliche
Verbundenheit mit ihm laufend vor mir demonstrieren mußte, schien Anna es
überaus zu genießen, wenn ihm ein Stoß mißlang und die Kugel entweder gar nicht
oder in ein falsches Loch fiel, während sie bei jeder Kugel, die ich versenken
konnte, lachte oder klatschte. Martin schien dieses Verhalten entweder nicht
aufzufallen oder nicht zu berühren, aber mein neuerdings so hochentwickelter
Sinn fürs Positive verleitete mich dazu, ihre Unterstützung für mich mit der
Symbolik des Spiels in Zusammenhang zu bringen und somit — gleichsam über
mehrere Banden — als Punkt für mich zu verbuchen.
    Gewöhnlich endeten diese
Treffen zu dritt in einer dieser schicken Innenstadt-Bars, wo ich häufig den
Eindruck hatte, daß sich Anna genauso deplaziert vorkam wie ich. Die Tatsache,
daß sie selbst jedesmal mit Emphase die Lokale vorschlug, war wohl eines jener
Rätsel, die sie mir aufgab, um mich alten Zausel kopfüber in die Strudel meiner
Verwirrungen zu stürzen. Vielleicht aber, sagte der lang verschollen geglaubte
Lebensgeist auf meiner linken Schulter, ein kleiner Elf mit blaugeäderten
Flügeln, Tukanschnabel und Honigstimme, wachgeküßt von Anna an einem Abend
voller roter Überriesen und grüner Veltliner, vielleicht will sie dir nur vor
Augen führen, wie sehr ihr euch ähnlich seid, geistige Übereinstimmung,
verstehst du, zwei suchende Seelchen in einer bösen, profanen Welt. Ach, halt
doch den Mund, zischte ich nach links, wenn er sich wieder meldete, aber
gewisse Ähnlichkeiten glaubte auch ich zu entdecken, wie wir da so hin und her
rutschten auf den schmalen Bankattrappen unter den Leuchtstoffröhren, Anna und
ich als Vögel auf einer Stange, der Hyazinthara und der gerupfte Graupapagei,
gefangen in einer glitzernden Voliere.
    »Haben Sie Portwein«, sagte
Martin, mit Haut und Haaren zum Jünger dieser gefinkelten, für Anfänger
verhängnisvollen Religion konvertiert, seit er bei mir den Zwölfjährigen
gekostet hatte, und so mußten wir oft, in meinem Fall mit würdevoll verhohlenem
Ekel, irgendein Billigzeug in uns hineinschütten, was es halt in Wiener Bars so
gibt, Sandeman Ruby oder wie diese aus nichts als Zucker bestehenden
Insektenvertilgungsmittel hießen. Einmal war ich Zeuge, wie Anna den Inhalt
ihres Glases mit einer Art Backhand-Topspin, wie Daniel sagen würde, ins
Plastik-Erdreich eines

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