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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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man Hertzsprung-Russell-Diagramm.«
    »Herzsprung?« fragte ich
ertappt, ich witterte eine Anspielung.
    »Ja, Hertzsprung«, sagte sie, »Hertzsprung
und Russell, die beiden Astronomen, die das System entwickelt haben.« Sie bot
mir eine Camel an, die ich dankbar annahm, gab mir Feuer und ergänzte,
»Hertzsprung mit tz.«
    »Rote Überriesen gehören zur
Spektralklasse O, sind, was Sie nicht überraschen wird, extrem groß, ihr Umfang
entspricht der Umlaufbahn des Jupiter um die Sonne, dafür sehr kalt, nur etwa
dreitausend Grad Oberflächentemperatur.«
    »Wie
frostig«, sagte ich. »Gibt es dort auch rote Eisbären?«
    »Die
würden sich«, sagte Anna und lachte tatsächlich, »nicht auf dem Boden halten
können. Es gibt dort nämlich keinen Boden. Rote Überriesen bestehen aus Gas.
Möchten Sie einen sehen?«
    Ich nickte, und Anna justierte.
»Voilà«, sagte sie, »Beteigeuze.«
    »Was?«
    »Ein sehr alter Name. Assyrisch
oder sumerisch, ich bin nicht ganz sicher. Bedeutet auf jeden Fall Schulter.
Wir sind noch immer im Orion, Beteigeuze ist sein linker Schulterstern. Ein
sehr alter Stern, wird schon in ein paar Millionen Jahren als Supernova
verglühen.«
    »Ein schöner Tod«, sagte ich.
»Ab diesem Augenblick habe ich eine neue Antwort für die Todesfee.«
    Ein
Stichwort für Anna. Sie verschwand kurz, kehrte mit einer neuen Flasche
Veltliner zurück, und mit ihrer Cordjacke um die Schultern, der Nachtwind im
Januar war noch kälter als die Oberflächentemperatur von Orions Schulter.
»Todesfee?« fragte sie, »drei Wünsche frei für den Ex-Dichter?«
    Ich verlor ein wenig die
Contenance, griff nicht nach dem Glas, sondern gleich nach der Flasche,
verschluckte mich beinah, »Anna«, sagte ich, »woher wissen Sie das alles? Sie
machen mir angst.«
    Sie machte mir gleich noch viel
mehr angst, denn ihre Hand kam auf meine linke Schulter zugeflogen und ließ
sich dort nieder. Sie wollte etwas sagen, aber ich genoß den Moment so über die
Maßen, daß ich ihn sofort zerstören mußte. »Schön, nicht«, sagte ich und
deutete mit dem Flaschenhals auf ihre Hand, »Beteigeuze für Arme,
gewissermaßen.«
    Anna war taub geworden für
meine Kalauer, leider oder glücklicherweise, ihre Hand blieb liegen. »Sie
müssen sich nicht fürchten«, sagte sie, »nur weil ich manches über Sie weiß.
Erzählen Sie mir von der Todesfee.«
    Ich stotterte herum, »nun ja«,
sagte ich, »eine alte britische Sage, oder keltisch, ich weiß es nicht mehr,
die Fee erscheint dir in der Blüte deines Lebens, wie es heißt, und läßt dich
deine Todesart aussuchen.«
    »Und?«
    »Ach«, sagte ich, nahm einen
großen Schluck, diesmal aus dem Glas, und beschloß, dem Winzer beim nächsten
Test für seinen Veltliner mindestens neunzig Punkte zu geben, »vor dem heutigen
Abend hätte ich mich wahrscheinlich für etwas Kurzes, Heftiges entschieden,
Zeppelinexplosion bei Atlantiküberquerung oder dergleichen. Ast auf den Kopf
bei Gewitter in Paris ist ja leider schon vergeben. Oder doch etwas
Kulinarisches: Flußkrebse, die ich gerade verspeisen will, schrecken vom Teller
hoch, wehren sich und schlitzen mir die Halsschlagader auf.« Jetzt wirkte es
endlich, Anna nahm ihre Hand zurück, aber ich fühlte mich bedauerlicherweise
nicht sicherer, sondern nur schrecklich allein gelassen.
    »Und jetzt«, fragte Anna
streng, sie wollte es wissen.
    »Wenn die Fee jetzt kommen
würde, hätte ich endlich die richtige Antwort. Liebe Fee, würde ich sagen, ich
hätte gern einen farbenreichen Abgang als Supernova, wenn möglich, in circa ein
paar Millionen Jahren.« Ich mußte mich setzen, aus Gründen, die mehr mit
Gravitation als mit Gasdruck zu tun hatten; ich war bereit für den roten
Überriesen in Annas Okular.
    Anna hockte sich vor mir
nieder, legte mir beide Hände auf die Knie, ich sorgte mich sehr um meine
überforderte Pumpe, »was«, sagte sie, und schaute mir mitleidlos in die hilflos
flackernden Augen, »würden Sie der Fee antworten, wenn sie genau jetzt vor
Ihnen säße.«
    Die Brüstung war zu weit weg,
kein Smaragd in Griffweite, meine Berauschung war ohnehin massiv genug, die
Widerstandsgeister aus den Restvernunfts-Gefilden hatten sich längst diskret
zurückgezogen, und so saß ich allein mit meinen wildgewordenen Gefühlen auf
diesem Campingsessel, legte meine Hände in einem Anfall von Tollkühnheit auf
Annas Hände und sagte allen Ernstes, »ich würde die Fee wissen lassen, daß es
mir vollkommen gleichgültig ist, wie ich sterbe,

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