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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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mich nicht
erreichbar.
    Oder für niemanden? Der
Anrufbeantworter, der sich nur bei unwillkommenen Anrufern einschaltet, war
noch nicht erfunden, und so blieb mir der Trost, daß es wohl allen so gehen
mußte. Andererseits, sagte ich mir, sind Anrufbeantworter ja auch dazu da,
Botschaften zu hinterlassen. Schließlich tat ich es. Vorsichtig setzte ich ein
Wort vor das andere, wie ein Unfallopfer bei den ersten Gehversuchen in der
Reha-Klinik die Füße. Es wurde, glaube ich, eine ebenso behutsame wie langsame
Botschaft.
    Zwei Tage lang bewegte ich mich
weder am Institut noch zu Hause mehr als fünf Meter vom Telefon weg, dann gab
ich auf.
    Irgendwann an einem besonders
lichtdurchfluteten Frühlingsnachmittag reichte es meinem Elf. »Glaubst du im
Ernst«, sagte er und bohrte seine Krallen in mein Schulterfleisch, »daß dein
Gestammel irgendwen aus der Reserve lockt?« Glaubte ich nicht. »Na dann«,
befahl mein Elf, »reiß dich zusammen.« Er schüttelte ungeduldig seine Flügel,
daß es mir die Asche aus dem Aschenbecher ins Gesicht blies. Wenn er zornig
war, leuchteten seine blauen Adern besonders schön. Ein Glas Brunello vorher
mußte aber sein. Also gut, zwei Gläser.
     
    Ich wählte die Nummer. Welcome
to another world. Der Pfeifton.
    »Geschätzte Anna«, sagte ich,
»verzeihen Sie mir bitte, daß ich so unverschämt bin, Ihnen ein zweites Mal
aufs Band zu sprechen.«
    »Versager«, krächzte mein Elf.
Hoffentlich war er weit genug weg von der Muschel.
    Ein Schluck noch. Wie viele
Minuten hatte ich eigentlich? »Aber ich kann nicht anders, als Sie zu bitten,
mich noch einmal allein zu treffen. So vieles an unserer Begegnung ist mir
unerklärlich. Ich weiß schon, oft ist es besser, nicht alles zu zerreden, und
ich kann nicht sagen, daß ich unsere Treffen nicht über alles genießen würde,
doch...«
    »Zerreden«, kreischte mein Elf,
»sind wir hier auf einem Psychoseminar? Du wolltest...« Meine Hand schnellte
nach oben und hielt ihm den Schnabel zu. »Doch wenn all das, was ich kaum zu
hoffen wage, für Sie mehr ist als ein belangloses Spiel, dann wäre es schön für
mich, ein wenig mehr zu verstehen.«
    Den Schnabel dauerhaft zu
arretieren war nicht leicht. »Wann immer Sie möchten, ich nehme mir Zeit. Und
falls ich alles in Ihnen zugeneigter Verblendung falsch sehe, dann bitte ich
Sie nochmals um Verzeihung.« Jetzt hatte sich der Elf seinen Schnabel
freigehackt. »Und nähe mir Lederherzen auf die Knie und bete vierzehn Ave
Maria!«
    Ein Fausthieb Richtung
Schulter, Treffer. Ȇbrigens hab ich gestern nacht am Himmel zwei rote
Überriesen gefunden. Aldebaran und Arkturus, glaube ich. War gar nicht schwer,
nach Ihren Anleitungen«, dann legte ich auf — das Klicken klang wie die Salve
eines Erschießungskommandos, das vergessen hatte, zu laden — packte den Elf am
Schlawittchen, öffnete das Fenster und ließ ihn fliegen. Rasch trenne man sich
von falschen Freunden.
    Zwei Stunden später klingelte
das Telefon.
    Mein verwirrtes Herz pumpte mir
Gallonen von Blut durch die Halsschlagadern, die gegen alle Gesetze der Physik
nicht platzten. Ich hatte mich noch keinen Zentimeter wegbewegt vom Telefon.
    »Ich bin’s, Anna. Warten Sie
noch. Es ist noch nicht soweit. Noch nicht. Kein Spiel.«
    Aufgelegt.
    Wie lange ich anschließend noch
den Hörer in der Hand hielt, weiß ich nicht mehr.
    Wenn Entwirrung ein zu fernes
Ziel ist, muß man sich mit dem Knäuel arrangieren. Schließlich wollten wir bald
wieder Pool spielen. Zu dritt.

Vierundzwanzig Als die Träume kamen, war ich unvorbereitet. Ich gehöre nicht zu den Menschen,
die sich nie an ihre Träume erinnern können; oft saß ich nachts mit meinem im
Gesicht schon ganz krebszerfressenen Vater am Ufer der Krems, wir warfen die
Blinker aus und stritten uns, bevor ich aufwachte, wer die erbeuteten Forellen
töten mußte. Oder ich half der Mühlviertler Großtante, ihren achtzigjährigen
Gatten von der Kellerdecke zu schneiden, der vom Hanf eingeschnürte Hals noch
ganz warm in meinen Händen. Dann schlug der Großonkel die Augen auf, und ich
schreckte hoch. Und das Übliche natürlich, ich vor einer Riesenschar Studenten
bei einem Gastvortrag in Harvard, die Zettel vor mir plötzlich weiß, ich blicke
hoch, will den Mund aufmachen, es geht nicht, dafür machen die Studenten den
Mund auf, synchron, zu einem Geschrei, einem potenzierten Hochton, Hunderte
Donald Sutherlands aus der Schlußsequenz von Body Snatchers — den ich
bei Daniel sehen mußte und

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