Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
Vom Netzwerk:
Freundin nicht für alle Zeiten geheim bleiben konnte, war
mir immer klargewesen. Unangenehm war vielleicht, daß ausgerechnet die Tochter
Wallingers, seines Zeichens ultrakonservativer Institutsvorstand und mein
persönlicher Lieblingsfeind, unser Treiben entdeckt hatte.
    »Das scheint dich«, sagte
Sörensen, »nicht besonders aufzuregen. Umso besser. Das ganze Institut tuschelt
über dich, aber du bleibst gelassen. Das sieht man gern.«
    »Getuschelt«, sagte ich, »haben
sie doch schon immer. Über meine Thesen, über meinen Fettbauch, über meine
bescheidenen, aber nicht zu leugnenden Erfolge. Jetzt eben über meine
Freundschaften. Sollen sie doch.«
    »Ich erkenne dich nicht wieder.
Der Große Grübler, Erfinder der Idiosynkrasie, macht auf cool. Erstaunliche
Wandlung, wirklich erstaunlich.«
    »Mir geht’s ähnlich. Alfred
Sörensen, gefürchteter Zyniker, indianischer Name
Der-Mann-dem-nichts-heilig-ist, entdeckt den Moralisten in sich und führt ihn
gleich Gassi.«
    Der Ober stellte eine Flasche
Riesling auf den Tisch, ich mußte degustieren und nickte.
    »Ach Alexander«, sagte
Sörensen, als der Ober endlich außer Hörweite war, »mir persönlich ist es doch
piepegal, oder powidl, wenn du das lieber hörst, mit wem und wie du deine
Nächte verbringst.«
    »Tatsächlich? Und warum sitzen
wir dann hier?«
    »Erstens, weil ich es für meine
Freundespflicht hielt, dich zu informieren.« Sörensen nestelte an seiner
Serviette herum. »Und zweitens, was viel wichtiger ist, weil du mir, wie soll
ich sagen, irgendwie... abhanden gekommen bist. Du bist nicht mehr ganz da.«
    Er steckte einen Finger ins
Weinglas und schleckte ihn ab. »Was immer am Institut passiert, es berührt dich
nicht mehr. Alles scheint dir gleichgültig geworden zu sein.« Jetzt durchbohrte
er das Tischtuch mit einem Zinken seiner Gabel. »Könnte es sein, ich meine —
liegt es an dem Mädchen?«
    Die Heftigkeit meiner Reaktion
überraschte mich selbst. »Warum eigentlich«, sagte ich, und meine Hand griff
unwillkürlich nach dem Messer, »kümmerst du dich nicht um deinen eigenen Dreck?
Und zwar am besten gleich. Wenn ich etwas picht ausstehen kann, dann bigotte
Gouvernanten.« Sörensen warf mir einen unendlich traurigen, tief beleidigten
Blick zu, und sofort bereute ich meinen Ausbruch. Aber es war zu spät.
    »Wahrscheinlich«, sagte er,
»hast du recht. Dann verpiß ich mich also. Paß auf dich auf.«
    Er zückte sein Portemonnaie,
legte einen Fünfhunderterschein auf den Tisch, drehte sich um und ging. Das war
keineswegs in meinem Sinne, aber ich war wie paralysiert und reagierte zu
langsam. Als ich endlich seinen Namen in Richtung Ausgang rief, war Sörensen
schon draußen auf der Straße.
    »Bitte sehr, mein Herr«, sagte
der Ober, »einmal Nierenbraten, einmal Stelze.«
    »Der Kollege«, sagte ich,
»mußte dringend weg. Aber stellen Sie ruhig alles her.«
    »Sehr wohl der Herr«, sagte der
Ober, streifte mit einem Blick meinen Bauch und grinste.
    Ich muß, dachte ich, dringend
mit dem Chefredakteur telefonieren. Zwei Hauben sind entschieden zuviel.

Sechsundzwanzig Von dem Hochplateau, auf dem ich gerade noch mit ausgebreiteten Armen und
zurückgeworfenem Kopf, ein verrückt gewordener Hofastronom in den Diensten von
Queen Anne, rote Überriesen an einem hellichten Himmel suchen wollte, zieht es
mich nach unten, durch ein Buschdickicht stolpere ich talwärts, die Büsche
werden lebendige Bäume, und während mich ihre Äste durch die Lüfte schupfen —
Fang! schreit ein Ast, schleudert mich hoch, und ich lande in der Gabel eines
anderen sehe ich unter mir das Meer, oder ist es ein See, jedenfalls öffnet
sich an der Wasseroberfläche ein schwarzes Loch, und die Äste sehen es auch.
Dorthinein mit ihm! grölt ein Eichenast und wirft mich, trifft aber nur die
Meeresoberfläche drumherum, von der ich zurückspringe wie ein Vollgummiball.
Daneben! grölen die anderen, Laßt mich mal, sagt eine Stimme, es ist eine
Riesenschlange, die sich in einem der Wipfel räkelt, schon lande ich in ihrem
Maul, sie dreht und wendet mich auf ihrer Zunge, durchweicht mich mit Speichel,
dann schnellt ihr Unterkiefer hoch, ein Katapult, und befördert mich in schönem
Bogen genau ins Herz der Finsternis.
    Ich falle und beginne zu
zählen, so buchhalterisch sind Fallträume manchmal, man zählt die Sekunden und
rechnet sie hoch auf den Schmerz des Aufpralls, aber unverhofft lande ich sanft
in einer Aschengrube, alles wird grau von der hochgewirbelten

Weitere Kostenlose Bücher