Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
Vom Netzwerk:
wahrnahm. Oder waren es ihre
Veränderungen, die sich erst langsam einschlichen? Diejenigen, mit denen mich
Sympathie und gegenseitige Anerkennung verbunden hatte, begrüßten mich
jedenfalls am Gang immer förmlicher, besuchten mich nur noch in dienstlichen
Angelegenheiten, selbst die Einladungen zu gemeinsamen Mittagessen, bisher
erfreuliche tägliche Routine, wurden spärlicher, und wenn sie doch stattfanden,
waren die Gespräche belanglos, die Atmosphäre kühl. Meinen Neidern und Feinden
hingegen bereitete jede zufällige Begegnung mit mir offensichtlich größtes
Vergnügen, manche von ihnen erreichten in ihrem Grinsen eine Breite, als hätte
ihnen jemand mit einer Rasierklinge die Mundwinkel bis zu den Ohrläppchen
aufgeschnitten. Obwohl ich selbst den Eindruck hatte, weder bei Prüfungen noch
bei den Seminaren oder Sitzungen anders zu handeln oder zu reden als bisher,
mußten die Kollegen etwas an mir wahrgenommen haben, das ihnen Anlaß zu
Besorgnis, Distanzierung oder schierer Schadenfreude gab. Seltsamerweise
beunruhigte mich diese schleichende Dekonstruktion meines Ansehens nicht
sonderlich, seltsam deshalb, weil ich doch bisher eher dazu geneigt hatte,
selbst über geringfügige Abweichungen in der mit den Jahren immer feiner
austarierten Freund-Feind-Balance am Institut in tagelanges Grübeln zu
verfallen. »Dich braucht«, hatte Daniel einmal gesagt, »nur einer deiner Lieben
schief anzulächeln, schon gehst du mit dir selbst in Klausur. Stell dir vor,
Sörensen kriegt plötzlich Facialis-Parese. Du müßtest in Frühpension gehen,
mein Sensibelchen, oder gleich ins Lunatic Asylum.«
    Und ausgerechnet Sörensen,
jener Dozent, den ich tatsächlich mehr als alle anderen schätzte, ein
Spezialist für elisabethinisches Drama, ebenso leptosom wie verfressen — Gott
segnet die Auserwählten und nennt sie: schlechte Nahrungsverwerter — , kam
eines Vormittags in meine Kammer. »Mit Dank zurück«, sagte er, knallte einen
Stapel geliehener Bücher auf meinen Schreibtisch, »vielleicht gibst du mir als
kleine Gegenleistung den alten Markowitsch zurück. Wäre doch ein Deal, oder?«
Meine Verblüffung quittierte er mit einem Lächeln.
    »Du weißt also wirklich nicht,
wovon ich rede? Ich glaub’s einfach nicht. Also dann, 13 Uhr in der Glocke. Und
keine Ausreden, Falstaff, dein Seminar beginnt erst um vier.«
     
    Sörensen wußte natürlich, daß
ich die Glocke liebte — was er nicht wußte, war, daß ich zwei Tage zuvor einen
unverschämt hohen Bewertungsvorschlag beim Chefredakteur abgegeben hatte. Zwei
Hauben. Selbst meine zweifelhafte Tätigkeit als Restaurantkritiker hatte ich
nicht wegen meines Paralleluniversums eingeschränkt — alles war doch wie immer,
oder nicht?
    So saß ich an jenem Mittag im
Juni mit Sörensen vor einer Speisekarte, die mir wie immer ebenso vertraute wie
überraschende Genüsse versprach.
    ‘»Nun denn, Prinz Henry«, sagte
ich, nachdem ich mich nach längerer Überlegung für den Kalbsnierenbraten
entschieden hatte, »zaudere nicht und stell mich zur Rede!«
    »Vergiß den Schas, red
Klartext«, sagte Sörensen, er fand in emotional aufgeladenen Gesprächen nie
seine idiomatische Heimat, war ja auch nicht leicht für einen Sohn dänischer
Einwanderer, den es nach einer Kindheit in Köln zum Studium nach Berlin gespült
hatte und dann weiter als Assistent an die Salzburger Anglistik, die
Lieblingstruhe seines Anekdotenschatzes, ehe er sich schließlich in Wien
habilitierte. Durch alles, was ich von ihm gelesen hatte, sei es über Marlowe
oder die ersten Dramatikerinnen wie Aphra Behn, die er besonders verehrte,
wehte ein Geist, der es an Raffinesse, Originalität und Verführungskraft
durchaus mit dem Küchendunst der Glocke aufnehmen konnte.
    »Schau«, sagte Sörensen, »du
weißt, daß bei mir viele Gerüchte landen. Sehr viele bei uns beneiden oder
bewundern dich. Nichts dazwischen. Kaum einer hat ein entspanntes Verhältnis zu
dir.« Er winkte dem Ober, bestellte die Kalbsstelze für zwei Personen,
selbstverständlich für sich allein, »mittags nur ein Häppchen, man will ja
nicht blad werden«, und prostete mir zu. Seine ganze Mimik kündete von nichts
als Freundlichkeit.
    »Wallingers Göre«, sagte Sörensen,
»hat dich mit deinem Doktoranden und einer sehr jungen Frau nach Mitternacht in
einem Innenstadtlokal gesehen. Und zwar mehrmals.«
    Meine Überraschung hielt sich
in Grenzen. Daß mein ein wenig ungewöhnlicher privater Umgang mit einem
Studenten und dessen

Weitere Kostenlose Bücher