Der Weg nach Xanadu
Kostüm eines
mongolischen Fürsten. Ihre nackten Füße stehen fest auf den Nacken zweier
Tiere, mit einer Hand hält sie die Zügel fest, mit der anderen läßt sie eine
Peitsche auf den Rücken der Echsen niedersausen. Ihre Haare wachsen in den
Himmel, oder sind an ihm befestigt, genauer an der Wolke, die über ihr hängt
wie der Schnürboden eines Boulevardtheaters. Eine Traumdiva auf Tournee durch
die Provinz meiner Nächte. Kubla Khan, nehme ich an. Ich habe nie daran
gedacht, daß Kubla ein weiblicher Name sein könnte.
Die Tür der Kajüte geht auf,
und im Halbdunkel erscheint, mir zuwinkend, Anna. Jedenfalls eine Silhouette,
in die ihr wirklicher Körper sich nahtlos hätte schmiegen können. Natürlich
folge ich ihr, ducke mich durch die niedrige Tür, und stehe im Finsteren. Ich
rufe nach Anna, aber sie ist schon wieder fort.
Hephaistos-sei-Dank finde ich
mein Feuerzeug in der rechten Hosentasche. Im schwachen Lichtschein entdecke
ich ein Bett, einen Tisch und ein Fenster. Das Fenster zieht mich an, ich
vermeine eine Bewegung dahinter wahrzunehmen, aber es ist nur eine Reflexion
des Feuers, das an der rechten Seite des Zimmers plötzlich aus einem Kamin
aufflackert und mein Feuerzeug kurz aufzischen läßt, bevor es verlöscht.
Trotzdem will ich sehen, was hinter dem Fenster ist, doch da reißt mich eine
Hand nach unten, im freien Fall muß ich sehen, wie die Falltür unter mir sich
öffnet, und die Schwerkraft knallt mich auf die Couch in meinem Wohnzimmer.
Wo ich dann endgültig
aufwachte, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls brauchte es, nach wacher Zeit
gemessen, Stunden, bis die Reptilien vor meinem Wohnzimmerfenster sich endlich,
wie Sörensen sagen würde, verpißt hatten.
Siebenundzwanzig Träume dieser Art von da an jede Nacht. Viele Variable, eine Konstante: das
Zimmer.
Aber selbst diese Konstante war
relativ, das Zimmer veränderte von Traum zu Traum seine Größe, manchmal mußte
ich den Kopf einziehen, um durch den Türstock zu kommen, und nach einem Schritt
stieß ich schon mit einem Knie an das Kopfende des Bettes, dann wieder
verschoben sich die Proportionen, und ich betrat einen Saal, der die in ihm
befindlichen Gegenstände winzig erscheinen ließ, als hätte man das Mobiliar einer
Puppenstube auf den Boden eines Kinderzimmers gestellt. Oder die Einrichtung
war mit der Saalhöhe gewachsen, und ich konnte den Tisch nur von unten sehen,
eine mächtige Eichenplatte, einen hölzernen Himmel. Was sich nie änderte, war
die räumliche Anordnung: links von der Tür, parallel zur linken Seitenwand, der
Schreibtisch mit den Manuskripten, der Feder, dem Tintenfaß und dem
aufgeschlagenen Buch; rechts davor der Sessel, nie dem Tisch zugewandt, immer
dem Fenster, das der Tür gegenüberlag; an der rechten Seitenwand der offene
Kamin, in der Mitte des Zimmers, zwischen Sessel und Kamin, das Bett mit den
Kopfpolstern zur Tür hin und dem Fußende unter dem Fenster. All diese
Gegenstände waren immer, so verworren die nächtlichen Heimsuchungen sich auch gebärden
mochten, an ihrem Platz. Den Grundriß des Zimmers — und das war das letzte
Detail, das mir auffiel — bildete ein Trapez, mit der Fensterwand als
Grundlinie.
Betrachtete man nur das
Inventar, so handelte es sich um ein für das England des frühen neunzehnten
Jahrhunderts recht typisches Armeleutezimmer. Erst die Anordnung der
Gegenstände im Raum und die Dominanz der Fensterwand verliehen dem Traumzimmer
etwas Unverwechselbares.
Achtundzwanzig Die Alpträume, die sein Leben zur Qual machen sollten, überfielen Coleridge im
Jahr 1800 auf Greta Hall in Keswick, Cumbria, wohin er Wordsworth zuliebe mit
Sarah und den Kindern übersiedelt war, und sollten für den Rest seines Lebens
nie mehr gänzlich verschwinden. Etwa zur gleichen Zeit begann der regelmäßige Genuß
von Laudanum erste Anzeichen von körperlicher Abhängigkeit hervorzurufen.
Wie schon gegen seinen
Gichtanfall in jener Nacht, in der Kubla Khan entstand, nahm Coleridge
gegen Schmerzen aller Art die selbst von Ärzten empfohlenen »Kendal Black
Drops«, eine üble Mixtur aus Brandy, Opium und ein paar zerquetschten Kräutern.
Das Klima im Lake District,
ohne Zweifel eines der wäßrigsten auf diesem Kontinent, verstärkte die Symptome
von Gicht und Rheuma, und die Dosis der Tropfen wurde sukzessive erhöht. »Stimulantien«,
schreibt Coleridge, »aus Angst vor und zur Verhütung von heftigen Bauchkrämpfen
durch mentale Erregung; dann (fast epileptische) nächtliche
Weitere Kostenlose Bücher