Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
Vom Netzwerk:
umgekehrt?«
    »Dein Zartgefühl rührt mich
zutiefst. Nicht ganz verloren ist, wer solche Freunde hat.«
    »Jetzt hab ich’s. Jüngelchen
wollte Anna heiraten, aber kurz vor dem Jawort bist du auf einem Schimmel in
die Kirche geritten und hast die Braut entführt. Daraufhin hat man dich von der
Uni suspendiert, und jetzt möchtest du eine kleine kulinarische Glosse in
unserer Zeitung, um die Liebste ernähren zu können. Kein Problem, ich rede mit
dem Chef.«
    Ich beendete das Geplänkel und
erzählte ihm von den Träumen. Daniel konnte sich gelegentlich eines ironischen
Lächelns nicht erwehren, das besonders breit wurde, als ich ein Buch aus dem
Regal zog und eine Passage daraus vorlas, aber davon abgesehen war er
erstaunlich aufmerksam. Nur seine Trinkgeschwindigkeit vermochte mein Bericht
nicht zu beeinträchtigen. Als ich mit meiner Erzählung zu Ende war, war es die
zweite Flasche auch.
    »Ich weiß nicht«, sagte Daniel
nach einer Pause, in der er kurz in der Küche verschwunden war und sich in
meinem Weinregal bedient hatte, »was dich daran so beunruhigt. Läuft doch alles
bestens, ganz in meinem Sinn.«
    »Bekommt dir«, fragte ich, »der
Wein nicht? Möchtest du lieber einen Grappa?« ‘
    »Das eine schließt das andere
nicht aus. Aber im Ernst: siehst du nicht, wie deine Nächte für dich arbeiten?
Aber wem erzähle ich das, du bist doch der Romantiker.«
    »Du scheinst selbst umnachtet,
Freund der Reben. Ich hab Angst, verrückt zu werden, und du applaudierst.«
    »Na und? Die unerreichbare Anna
hat dir dein Herzfett abgesaugt, und dieser Dichter schickt dir aus dem
Jenseits abartige Träume. Ist doch schön. Du hast ja keine Ahnung, wie
vergreist du schon warst. Selbst ich kam mir gut durchblutet vor neben dir. War
übrigens kein schlechtes Gefühl, ein Jungbrunnen für einen kranken Mann. Das
Geheimnis unserer Freundschaft, jetzt ist es gelüftet.«
    »Du solltest lieber mal deine
Ganglien lüften. Wie kann man nur so albern sein, als Todgeweihter? Coleridge,
der mir seine Träume schickt — das ist selbst als Metapher deiner nicht
würdig.«
    »Ach nein? Und warum liest du
mir dann diesen Text von Borges vor? Ein mongolischer Fürst, der einen Palast
bauen läßt, von dem er geträumt hat, Coleridge, der ein Gedicht über denselben
Palast träumt und niederschreibt, und jetzt du, der den alten Fürsten im Traum
als Frau sieht — ist doch eine aparte Reihe. Du mußt nur was draus machen. Hast
du wirklich noch Grappa?«
    »Und wie«, fragte ich, »soll
das gehen? Soll ich mich hinsetzen und eine Xanadu-Symphonie schreiben?«
    »Schau«, sagte Daniel, »das
Zimmer, das du immer siehst, birgt vielleicht einen Schatz, den du entdecken mußt.
Bevor du dich in Professor Alexander
Würdest-du-bitte-meinen-Artikel-über-die-Präraffaeliten-Korrekturlesen
Markowitsch verwandelt hast, warst du doch voller Bilder.«
    »Hör doch endlich auf damit. In
meinem Kopf sind keine Bilder mehr, zumindest keine eigenen, und wirklich gut
waren die Gedichte damals auch nicht.«
    Daniel stand auf, ging zum
Fenster und starrte auf die Leuchtreklamen der Mariahilfer Straße. »Ich muß
dir«, sagte er »etwas beichten. Ich hab eins gelesen.«
    »Wie bitte? Hast du in meinen
Papieren herumgeschnüffelt?«
    »Wann denn? Während du den Wein
geholt hast? Und außerdem weißt du, daß derlei Dinge mir fernliegen. Manchmal
streift der Große Vogel Paranoia mit seinen Schwingen deine Denkerstirn,
Professorchen.«
    »Aber ich hab dir doch nie was
gezeigt? Niemandem übrigens, seit mindestens zwanzig Jahren.«
    »Du hast mir immer erzählt, die
Redaktionen hätten alle deine Texte abgelehnt. Aber das stimmt nicht. Da ich
weiß, wie sehr du die Übertreibung liebst, hab ich mir in der Bibliothek die Zeitschriften
heraussuchen lassen, die dich angeblich alle haben abblitzen lassen. Es war gar
nicht schwierig. Ich brauchte nur die Register der Jahrgänge, die mit deiner
produktiven Zeit zusammenfielen, zu durchforsten, 71 bis 74, und Bingo!«
    Offensichtlich stand in meinem
Gesicht das blanke Entsetzen, denn Daniel setzte sich schnell wieder hin und
stellte mir sein Grappaglas vor die Nase. »Was ist denn daran so schlimm. Nimm
einen Schluck und beruhige dich.«
    Ich war mir nicht sicher, was
mir jetzt peinlicher war, das entdeckte Gedicht oder die entlarvte Lüge. Daniel
wußte alles von meinen literarischen Mißerfolgen, aber ich hatte ihm nie davon
erzählt, daß zwei oder drei Gedichte doch gedruckt worden waren. Es spielte
auch

Weitere Kostenlose Bücher