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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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gut zu
Fuß, sie folgten ihm nach, überallhin.
     
    »Mein Geist«, schreibt er an
Southey, »gehört ganz den Schrecken der Nächte. Träume sind keine Schatten mehr
für mich, sondern reale, substantielle Angriffe auf mein Leben.« Als Southey
mit seiner Frau Edith im Herbst 1803 einige Wochen auf Greta Hall verbringt,
wird er Zeuge, wie Coleridge jede Nacht mehrmals unter Schreien erwacht. Die
Ausgeburten seiner Angst lassen ihn nicht mehr los — gnadenlose Göttinnen, »die
in den dünnen Stunden vor der Dämmerung hervorbrechen«.
    Auch auf der Schiffsreise nach
Malta im April 1804 wird Coleridge wiederholt von »Angstträumen
& obskuren Gestalten« heimgesucht, findet auch im Opium keine
Erleichterung und beginnt am hellichten Tag an den Wänden seiner Kajüte »gelbe
Gesichter« zu sehen.
     
    Noch 1811 sind die Tagebücher voller
Schreckensszenarien: eine mit scharfen Krallen bestückte Klaue fährt aus dem
Bett und versucht, seinen Magen herauszureißen. Eine Hand packt ihn von hinten
am Hals, es gelingt ihm, sich ihrem Griff zu entwinden, er dreht sich um und
starrt in eine weiße Fratze mit unförmig angeschwollenen Lippen und Haaren aus
tropfendem Schlamm. Er hört Geräusche im Arbeitszimmer, öffnet die Tür und
sieht eine blasse Gestalt an seinem Schreibtisch sitzen, die ihm den Rücken
zukehrt.
    Als sie ihm ihr Gesicht
zuwendet, sieht er: sie hat keine Augen.
    Und immer ist das Entsetzen
gepaart mit einem Gefühl, das bis zu seinem Tod sein eigentlicher Alptraum
bleiben sollte, in der Nacht wie am Tag, in Zuständen des Rausches wie bei den
qualvollen Entziehungskuren: Schuld. In einem Gedicht von 1808 zeichnet
Coleridge sich selbst als das eigentliche Monster:
     
    Ours is the reptile’s lot,
    Manifold motions making little
speed,
    And to deform and kill the
things whereon we feed.
     
    Unser ist das Los des Reptils,
    Mit
mannigfaltigen Bewegungen wenig Geschwindigkeit zu erreichen,
    Und
die Dinge, von denen wir uns ernähren, zu verunstalten und zu zerstören.
     
    Die Wucht, mit der diese
Schuldgefühle immer wieder wie Fieberwellen über ihn hereinbrachen, bleibt
rätselhaft. Er haßte sich selbst für seine Träume, und gleichzeitig erschienen
sie ihm als gerechte Sühne. »Solche Strafen«, heißt es in The Pains of
Sleep, »(...) kommen / Naturen zu, die zutiefst mit Sünde befleckt sind«.
Der tiefere Sinn der »inneren Hölle«, die sich ihm in den Nächten offenbarte,
lag für ihn in einem Reinigungsritual für frevelhafte Sünder wie ihn, die »ewig
aufs neue / die unermeßliche Hölle in ihrem Innern anfachen, / um das Grauen
ihrer Taten zu sehen.«
     
    Nur: welcher grauenhaften
Sünden sollte er sich schon schuldig gemacht haben? Welche schrecklichen Taten
konnte er begangen haben, um verdammt zu sein, sie wieder und wieder sehen zu
müssen?

Neunundzwanzig »Daß du mich einmal«, sagte Daniel, »ins Allerheiligste vordringen läßt — du
mußt von Sinnen sein, ernsthaft verstört, gänzlich aus der Bahn geworfen. Was
ist passiert? Hast du dir endlich eine eigene Katze zugelegt? Einen Winzerhof
im Burgenland geerbt? oder gar — mir schwant Schreckliches — eine Diät
angefangen? Mein Gott, man darf dich einfach nicht allein lassen.«
    Er hatte sich auf meiner Couch
schon eingerichtet, die ersten zwei Gläser des ihm zu Ehren geöffneten Mouton
Cadet hatte er in kurzer Zeit versenkt, und es wurde mir erst in diesem Moment
bewußt, daß ich meinen besten Freund noch nie zu mir nach Hause eingeladen
hatte.
    »Ich wollte«, sagte ich, »dir
nur beweisen, daß es Gästebetten gibt, die nicht nach dem Leben des Gastes
trachten.«
    »Ach. His Majesty Alexander
Markowitsch, König der Eigenbrötler, hat ein Gästebett. Wie leutselig.«
    »Es
gehörte meinem Vater. Ich hab’s einfach hier abgestellt.«
    »Hast
du es jemals jemandem angeboten? Oder selbst drin geschlafen?«
    »Um ehrlich zu sein, nein.«
    »Und woher weißt du dann, daß
es nicht beißt?«
    »Probier es einfach aus, und
wenn es nicht konveniert, werden wir schon eine angemessene Absteige für dich
finden.«
    »Ich könnte stundenlang mit dir
über Gästebetten philosophieren. Solange du mir dazu diesen Roten auf den Tisch
stellst.«
    Also holte ich noch eine
Flasche aus der Küche. »Bedien dich«, sagte ich.
    »Deiner Laune nach zu
schließen«, sagte Daniel, »ist wirklich was passiert. O dunkle Wolken über dem
Haupt der Liebenden... nun erzähl schon, hast du Anna geschwängert? Jüngelchen
massakriert? Oder

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