Der Weg nach Xanadu
Asche, auf Knien
krieche ich heraus aus einem Kamin und sehe ein Fenster, vor dem ein Schatten
flackert, der Schatten einer Schlange in einem Geäst. Oder nur ein zerrupftes
Medusenhaupt, die Wangen eingefallen, eine Illustration zu dem mitleidlosen
antiken Witz, he, Medusa, was frißt du eigentlich, wenn alles, was dich
anschaut, zu Stein wird? Ich will aber aufstehen und genau sehen, das Fenster
zieht mich an, hinter dem Glas erhellen Blitze ein Gesicht — oder doch kein
Gesicht, nur Schuppen statt Lidern über senkrechten Pupillen? kaum steh ich,
drückt mich eine Hand zu Boden, eine Stimme sagt, noch nicht , ich dreh
mich um, ich frage laut, wer spricht hier? — und schon bin ich wach.
Ich fasse meine Beute nur von
hinten, sagt Medusa.
Ich sitze in meinem Wohnzimmer
am Schreibtisch und schreibe an einem Brief an Anna. Der Boden ist über und
über mit zerknülltem Papier bedeckt. Als ich mich bücke, um eins der
weggeworfenen Blätter aufzuheben und noch einmal zu prüfen, bemerke ich, daß
unter dem Türspalt Wasser ins Zimmer sickert. Ich verfluche meine
Waschmaschine, reiße die Tür auf, will ins Vorzimmer, um aus der Abstellkammer
einen Putzlappen zu holen — doch hinter der Tür ist kein Vorzimmer mehr. Auch
keine Abstellkammer. Mein Wohnzimmer treibt wie ein Kork auf dem offenen Ozean.
Ich halte mich an der Türklinke fest, um nicht ins Meer zu fallen. Vom Horizont
her kommt Bewegung ins Bild, die Wasseroberfläche wölbt sich an mehreren
Stellen, etwas kommt auf mich zu. Etwas Lebendiges, eine Gruppe von Tieren,
deren Rücken aus dem Meer ragen, aber dennoch vom Wasser verdeckt bleiben. Wie
Ratten unter einer blauen Tischdecke, die zu einem Freßnapf kriechen. In Panik
schlage ich die Tür zu, versuche, das Fenster zu öffnen, doch es klemmt. Und
welchen Sinn hätte es schon, aus dem Fenster zu springen? Auch hinter dem Glas
sehe ich nur Wasser. Und Tierrücken auf dem Weg zu mir.
Da entdecke ich an der Decke
eine Art Falltür mit einem eisernen Ring. Ich steige auf den Schreibtisch, kann
den Ring erreichen und öffne die Klappe. Sofort fällt eine Strickleiter
herunter, und mit Leichtigkeit, als hätte ich nur siebzig Kilo, klettere ich
nach oben.
Das Oben entpuppt sich als Deck
eines Dreimastschoners, ein stattliches Schiff, das mit geblähten Segeln übers
Wasser schießt. Rundherum die spiegelblanke See. Es ist taghell, aber neben der
Sonne steht der Mond am Himmel, und darüber ein rot leuchtender Stern.
Wahrscheinlich Beteigeuze oder ein anderer Überriese, Spektralklasse M. Am Bug
des Seglers, nur wenige Meter von mir entfernt, ragt das Holzgeviert einer
eigentümlichen Kajüte aus den Planken, aus Brettern gezimmert, die so neu
aussehen, als seien sie gerade eben zusammengefügt worden. An der mir
zugewandten Seite befindet sich eine Tür, und ich bin im Begriff, sie zu
öffnen, als sich eine Wolke vor die Himmelskörper schiebt. Aber es wird nicht
finster, im Gegenteil, die Wolke wirkt wie ein Prisma, als ich aufs Meer
hinausblicke, leuchten die Rücken in allen Farben, die durch Brechung des
Lichts entstehen können.
Die Rücken. Sie sind wieder da,
mir wird kalt vor Angst. Als das erste Tier mit seinem Schädel den
Wasserspiegel mit einem Klirren durchbricht, sehe ich: das Maul einer Echse.
Zahnreihen wie aus den Dinosaurierbüchern meiner Kindheit, Kapitel Fleischfresser.
Wasserechsen in Regenbogenformation, ganz links und ganz rechts noch die
Unsichtbaren, Infrarot und Ultraviolett. Wo bleibt nur mein rettender schwarzer
Engel? Ach, suspendiert von der allerhöchsten Obrigkeit, für immer.
Also gut, dann schrei ich eben,
um mich selbst aufzuwecken. Gelernt von STC.
Da sehe ich das Glitzern in den
Mäulern der Echsen. Silberschnüre ragen zwischen ihren Zahntaschen nach oben,
was ist das? Die Schnüre laufen auf einen Punkt hin zusammen, der Punkt ist
eine Hand, die die Fäden spannt oder locker läßt, wie es ihr beliebt, Zaumzeug
für Fischsaurier, ich kann nicht mal mehr schreien, so verblüfft bin ich selbst
im Traum von den Absonderlichkeiten, die ich da träumen muß.
Der Zug kommt näher, unter der
Himmelsdecke hervor kommen nach und nach die anderen Körperteile des Dompteurs
zum Vorschein, die Hand hat natürlich einen Arm, der Arm hat eine Schulter,
einen Hals, und darauf sitzt ein Kopf. Ich mache die Augen zu, was in Träumen
bekanntlich kompletter Unfug ist, und durch meine geschlossenen Lider hindurch
sehe ich eine Frau mit bleichem Gesicht und flackernden Augen im
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