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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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Angstzustände im
Schlaf, und seither war jeder Fehler, der mir unterlief, die unmittelbare Folge
der höllischen Angst vor diesen schlimmen, entsetzlichen Träumen — alles, um
sie zu verhindern.«
    Aus der ersehnten fruchtbaren
Zusammenarbeit mit Wordsworth wurde nichts: Die Auffassungen der beiden Dichter
über die neue Poesie, die sie in der zweiten Auflage der Lyrical Ballads der schon durch die erste schwer verunsicherten Leserschaft präsentieren
wollten, entfernten sich immer weiter voneinander. Wordsworth suchte den
einfachen, nahezu kindlichen Ton, eine ungekünstelte, von der demütigen
Betrachtung der Natur gespeiste Sprache. Coleridge war fasziniert vom
Übernatürlichen, von Dämonen und magischen Begegnungen, in seiner Sprache
standen altertümlicher Balladenstil und völlig neue Versformen hart
nebeneinander, und seine visionären Bilderströme ließen die Naturmetaphorik
seines Kollegen vergleichsweise alt aussehen.
    Wordsworth lehnte schließlich
die Veröffentlichung von Christabel, jenem letzten großen Gedicht, das
im annus mirabilis entstanden war, mit fadenscheinigen Begründungen ab. Damit
war Coleridge endgültig vom Mitherausgeber zum Ratgeber und Lektor der Lyrical
Ballads II degradiert worden.
    Vier Wochen später hatte er in
Williams Haus in Grasmere einen Traum.
    »...eine Frau, deren Züge von
Dunkelheit durchdrungen waren«, schreibt er an Southey, »hielt mein rechtes
Auge fest und versuchte es herauszureißen — schnell faßte ich ihren Arm — ein
schreckliches Gefühl — Wordsworth schrie mich laut an, als er mein Schreien
hörte — ich hörte seinen Schrei und fand es grausam, daß er nicht kam, aber
wachte erst auf, als er seinen Schrei zum dritten Mal wiederholte — der Name
der Frau war Ebon Ebon Thalud. — Als ich aufwachte, war mein rechtes Augenlid
geschwollen.«
    So hatte der brave Wordsworth
den armen Coleridge doch noch vom Zugriff seiner dämonischen Frauengestalten
errettet — und den Lesern der Lyrical Ballads die Begegnung mit der
nicht minder »von Dunkelheit durchdrungenen« Geraldine aus Christabel erspart.
    Einem späteren Brief an Southey
legte Coleridge ein Gedicht bei, The Pains of Sleep 3 , das mehr über die Beschaffenheit der nightmares verrät als alle Interpretationen, die sie ausschließlich als Folgen der
Opiumsucht — oder des Entzugs — begreifen.
     
    Desire with loathing strangely
mixed,
    On wild and hateful objects
fixed.
    Rage, sensual Passion, mad’ning
Brawl,
    And Shame, and Terror over all!
     
    Ein Verlangen mit Abscheu
seltsam vermischt,
    Im Bann wilder und verhaßter
Gegenstände.
    Phantastische Leidenschaften!
Wahnwitziges Gezänk!
    Und Schande und Schrecken über
allem!
     
    Nicht nur die Plastizität der
vom Schlaf aus den verschütteten Zonen seines Bewußtseins heraufgerufenen
Unwesen und deren Doppelgesichtigkeit, auch die damit verbundenen heftigen
Schuldgefühle verliehen diesen Nächten Dimensionen des Schreckens, die Coleridge
zutiefst verstörten. Doch die nächtlichen Besucher waren keine Fremden.
Gleichermaßen Verkörperungen seiner Sehnsüchte und lebensbedrohende Angreifer,
entpuppen sie sich als Verwandte der faszinierendunheimlichen Dämonen, die die
Gedichte bevölkern. Ebon Ebon Thalud, die Schwester des »demon lovers« und der
Nachtmahr in »Life-in-Death« erhebt ihr Haupt aus dem Graben, den Coleridge
zwischen sein christliches und sein heidnisches Ich gezogen hat. Nicht Ebon
Ebon Thalud will seine Auge herausreißen, seine eigene Hand ist es, angewiesen
von der christlichen Stimme: »Und sieht ein Auge, was es nicht sehen soll, so
reiß es heraus!«
    Und Samuel Taylor Coleridge
hatte schon zuviel gesehen, was einem Christenmenschen nicht gut bekommt.
    Im Oktober 1802 träumte er, von
einer bleichen Frau verfolgt zu werden, die ihn küssen wollte — Coleridge
rannte um sein Leben, denn er wußte, diese Frau konnte eine entsetzliche
Krankheit übertragen, indem sie ihren Opfern ihren Atem ins Gesicht blies.
Seine eigenen Schreie weckten ihn schließlich. Ein paar Tage später erschien
ihm Dorothy Wordsworth, in eine fette, rothaarige Harpyie verwandelt, die
versuchte, ihn zu fressen. Es gab eben auch harmlose Alpträume.
    Ein Jahr später versuchte er,
seinen nächtlichen Peinigern durch eine gewaltige Flucht zu entkommen. Er
reiste nach Schottland und hetzte seinen Körper in einer beispiellosen Tour de
force durch die Landschaft. »263 Meilen«, notiert er, »in nur acht Tagen«.
    Doch die Dämonen waren

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