Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
Vom Netzwerk:
gefestigtere
Persönlichkeiten als Herrn Markowitsch aus ihren Verankerungen reißen könnten.«
    »Das habe ich«, sagte ich
leise, »dir also auch erzählt?«
    »Hast du, mein aufrichtiger
Freund, hast du.« Daniel nahm einen bodenlosen Schluck aus meinem Weinglas.
    »So hängen«, sagte er nicht
ohne Pathos, »alle diese Schicksale auf mysteriöse Weise zusammen. Dein Leben
ist mit dem Annas ebenso verknüpft wie mit dem deines Dichters. Nur Jüngelchen,
wie du ihn zu nennen pflegst, scheint von alldem nichts zu ahnen. Er betet dich
noch mehr an als seine eigene Freundin und ist ganz hin und weg von den
köstlichen Abenden zu dritt. Ein gleichermaßen faszinierendes wie bizarres
Muster aus Fäden und Knoten. Als hätte der Große Teppichweber«, er zeigte an
die Zimmerdecke, »einen Humpen Laudanum über den Durst getrunken.«
    »Eine launige
Bestandsaufnahme«, sagte ich, »hast du auch Strategien zur Entwirrung?«
    »Ich nicht«, sagte Daniel
ernst, er war wohl vergrämt, weil ich immer noch nicht aufgestanden war, um
Nachschub zu liefern, »aber du.«
    »Rätsel oder Scherzversuch?«
fragte ich. »Klär mich auf, damit ich’s richtig verstehe.«
    »Schau«, sagte Daniel und
beugte sich nach vorn, ein Beichtvater bei der Auferlegung der Buße, »der Ort,
an dem alle Fäden zusammenlaufen, ist das Zimmer in deinen Träumen. Das Beste,
was du tun kannst, ist ganz genau auf jedes Detail zu achten. Vielleicht mußt
du, wie Coleridge bei seinem nächtlichen Besuch in der Hütte des Khans, auch
einen Schatz aus der Tiefe mit an die Oberfläche nehmen. Wenn schon kein
Gedicht — ich werde dich damit nicht mehr belästigen — , dann eben den
Schlüssel zu Annas Rätselbox. Oder, um in unserer Bildlichkeit zu verweilen,
den Ariadnefaden, der dich in die letzte Kammer des Labyrinths führen wird.«
    »Goldene Worte«, sagte ich und
stand auf. »Gehen wir schlafen?«
    »Wenn du meinst«, sagte Daniel
mit einer Spur Gekränktheit im Tonfall, »ich wollte nur behilflich sein.«
    »Ich weiß«, sagte ich.
    »Hast du«, fragte Daniel,
»eventuell ein Geschirrtuch für mich und Essig?«
    »Sogar
Tonerde. Extra gekauft. Liegt alles neben dem Gästebett.«
    »Ich
bin beeindruckt. Sag bloß, es gibt auch eine Minibar?« Ein Fläschchen Grappa
gab es noch, ich drückte es ihm in die Hand. »Weck mich, wenn das Bett dich
abwirft.«
    »Keine
Sorge«, sagte Daniel, »ich weiß schon: In Notfällen ruft man am besten den
Spezialisten.«
    »Und«,
sagte ich noch, nicht ahnend, daß es zum letzten Mal war für sehr lange Zeit,
»sauf nicht soviel.«

Dreißig Ich schlief schnell ein und wurde vom Zersplittern der Schlafzimmertür wieder
geweckt. Eine wilde Horde Seeräuber mit klassischen schwarzen Augenklappen, die
meisten physiognomisch eher Typ Walter Matthau als Errol Flynn, stürzte herein,
einer stellte sich ans Kopfende, ein anderer ans Fußende des Bettes, zwei
simultane Griffe, und ich flog in hohem Bogen von der Matratze hoch und krachte
auf den Boden. Ein aufjaulendes Geräusch ertönte, einer der Männer hatte eine
Kettensäge angeworfen und begann, das Bett zu zerteilen, andere durchwühlten
meinen Kleiderschrank, warfen die Wäsche auf den Boden und brachen die Bretter
heraus. Die Bücher flogen tief, eines — wenn ich mich richtig erinnere, eine in
Schweinsleder gebundene Gesamtausgabe von John Keats — erwischte mich am Kopf,
als ich mich gerade hochrappeln wollte. Ich blieb liegen, das war sicherer. Die
Piraten sonderten rudimentäre Satzpartikel in übelstem Devonshire-Dialekt ab,
die Phonstärke der Unterhaltung schwoll an — offensichtlich fanden sie nicht,
was sie suchten. Unter Flüchen schleppte einer einen Sack herein, drei der
Männer griffen sich daraus gewaltige Eisenhämmer und bearbeiteten damit die
Rückwand des Schlafzimmers. Verputz spritzte weg, trotz meiner Deckung war ich
schnell über und über mit weißen Partikeln bedeckt, und in einer Staubexplosion
gab die Wand schließlich nach. Beifälliges Gegröle hob an, mein Bett war von
glücklichen Seeräubern umzingelt, einer nach dem anderen duckte sich durch das
Loch, das die Hämmer in die Wand gerissen hatten, und als alle durchgekrochen
waren, gab ich meine Deckung auf und folgte ihnen.
    Was ich betrat, war nicht das
Badezimmer meines griesgrämigen Nachbarn, der nur am sehr frühen Morgen
Fröhlichkeit verströmte, indem er durch markerschütterndes Gekrähe beim Duschen
das Heraufdämmern des Tages feierte, sondern ein Zimmer mit einem

Weitere Kostenlose Bücher