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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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höre.«
    »Das Cottage in Nether Stowey«,
sagte ich, »Geburtsort von Ancient Mariner und Christabel. Von
Herbst 97 bis Herbst 98, also das gesamte magische Jahr, kein anderer
Wohnsitz.«
    »Wunderbar. Was noch?«
    »Greta Hall in Keswick.
Invasion der Alpträume, Dejection, Opium, Sara Hutchinson.«
    »Auch nicht schlecht.«
    »Die Farm zwischen Porlock und
Lynton. Noch nicht eindeutig identifiziert. Höchstwahrscheinlich die Ash Farm
oder die Yearnor Farm. Kubla Khan, Beginn des annus mirabilis.«
    »Weiter.«
    »Dove Cottage in Grasmere. Der
von Wordsworth für sich selbst errichtete Altar im Grünen. Coleridge zumindest
einmal pro Woche zu Besuch. Alpträume, Versagensängste, erste Lesung des Mariner, Ablehnung von Christabel.«
    Einer der Marillenschnäpse
hatte sich zu mir verirrt. Ich adoptierte ihn mit feierlicher Geste.
    »Der Rest«, sagte ich, »sind
die wild verstreuten Orte seiner Fluchten, quer durch halb Europa. Das
Pensionszimmer in Göttingen. Der Alterswohnsitz auf Highgate Hill. Jede zweite
Scheune in Nordschottland. Die Kajüte auf der Passage nach Malta. Undsoweiter,
also doch wieder Tausende Orte, alle gleich wahrscheinlich und
unwahrscheinlich, die meisten von ihnen längst nicht mehr existent.«
    »Beginnen Sie«, sagte Anna,
»einfach irgendwo. Alles andere wird sich Ihnen zeigen.«
    »Und warum«, fragte ich,
angesichts all der Knoten um mich herum von einer Art gordischem Klarheitswahn
getrieben, »sitzen Sie eigentlich mit mir hier?«
    Madame Selene, nunmehr
alleinige Herrscherin am Abendhimmel, trug mächtig Rouge auf. Stand ihr gar
nicht, fand ich. Anna stand auf, beugte sich über mich, umfing mit ihrer
rechten Hand meinen linken Zeigefinger und sagte: »Warum bist du nur so
ungeduldig, Alexander?«
    Zum ersten Mal ein Du, dachte
ich; erst als sie eine halbe Stunde lang weg war, wurde mir klar, daß sie nicht
zurückkommen würde.
    Und auch, wohin meine Suche
mich führen sollte.

Zweites Buch

Recherche

...procure for these shadows of
imagination that willing suspension of disbelief for the moment which
constitutes poetic faith. 4
    STC
     
     
    Der Spuk der Nachtmahr ist aus
sorgsam gewählten Zweigen gewoben, verknüpft mit weißem Roßhaar und dem Flaum
prophetischer Eulen, behängen mit Schädeln und Kadaverresten der Dichter.
    Robert Graves

Eins »Gehen Sie«, fragte der Taxifahrer keuchend, als er um fünf Uhr morgens den
Kofferraum seines Wagens mit meinen Reiseaccessoires belud, »auf eine
Expedition?«
    »So ähnlich«, sagte ich.
Zugegeben, es war vielleicht kein wirklich gutes Motto fürs Packen gewesen,
dieses »im Zweifelsfalle für die Mitnahme« — die Last eines Karawanenkamels war
ein Handtäschchen gegen mein Gepäck — , aber da ich selten verreiste, hatte ich
keine Übung im Selektieren. Viele Gewohnheiten, die man sich als Einzelgänger
mit den Jahren zugelegt hat, sind ja auch an Gegenstände gebunden, die man
gerade im feindlichen Territorium nicht missen möchte. Den Luxus, meine
liebgewonnenen Neurosen wie ein schrulliger Gärtner zu pflegen, wollte ich mir
auch auf Reisen nicht versagen. Hatte ich zum Beispiel keine zwei Polster im
Nacken, war Schlafen ein Ding der Unmöglichkeit, und welches
Bed-and-Breakfast-Haus bot schon mehr als einen? Also mußte mein
Lieblingspolster mit, nicht gerade ein handliches Stück. Und ähnliche Dinge
mehr.
    Ein Problem waren die Bücher
gewesen, fette Wälzer über Coleridge und seine Zeit, die Notebooks, auch nicht
schlank, seine Gedichte und Prosaarbeiten natürlich, dazu Dorothys ausufernde
Journale, Williams Gesammelte Werke, all das hatte sich in meinem Arbeitszimmer
gestapelt und meiner Entscheidung geharrt. Spare ich Platz, hatte ich gedacht,
oder spare ich Zeit. Schließlich füllte ich alles in einen Koffer, der mir
aufgestellt bis zum Adamsapfel reichte.
    Beim Einchecken in Schwechat
wartete die freundliche Dame von der Sabena ein paar Minuten auf den Rest
meiner Familie; schließlich begriff sie.
     
    Beim Flug nach Manchester noch
mal an meinem Plan vom Zimmer herumgezeichnet. War nicht leicht, auf dem
winzigen, nicht eben stabilen Plastikgestell, das mir in heruntergeklapptem
Zustand noch dazu auf den Magen drückte. Konnte es schließlich zwischen zwei
Fettringen arrettieren und ein paar Feinkorrekturen auf dem Plan vornehmen.
Draußen zerknüllte Wolken, weggeworfene Papiertaschentücher. Oder Gesichter von
Boxerwelpen, von einem tierlieben Wettergott in die Luft gezeichnet.
    In Manchester war ich

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