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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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offenen
Kamin, einem Tisch, einem Bett, undsoweiter, wie gehabt.
    Auf dem Sessel vor dem
Schreibtisch saß ein in feinsten Tweed gekleideter alter Herr, den die
Seeräuber umringten und der nicht im mindesten von der Invasion beunruhigt
schien. Der fetteste Pirat, möglicherweise der Kapitän, sprach ihn mit »Tord
Tryermaine« an, das verstand ich überraschend deutlich, während vom Rest seiner
Worte nur Bruchstücke das unablässige Gebrabbel der anderen Männer übertönen
konnten; von einer Truhe war die Rede, von Schlüsseln, von Smaragden in einer
Höhle aus Eis.
    Der alte Lord zeigte zum
Fenster, das sich gegenüber meiner ehemaligen Schlafzimmerwand befand, schon
warf sich der fette Seeräuber dagegen und verschwand, wahrscheinlich von
Glassplittern gespickt, in der Tiefe. Die anderen Einäugigen sprangen ihm nach,
der letzte hatte einen Enterhaken zwischen den Zähnen.
    Zurück blieben der Gentleman im
Tweed und ich in meinem Pyjama — petrolfarbene Seide, Oxford Street, spannte
schon um die Nabelgegend, obwohl erst zwei Jahre alt — und ich nutzte die
Gelegenheit, das Wort an ihn zu richten. Ich hatte mir auch schon eine kleine
Liste an Fragen zurechtgelegt, doch der alte Herr drehte sich auf seinem Sessel
einfach um. Schöne Verarbeitung auch in der Rückenpartie, der Anzug, mit
sechzig werd ich mir auch so einen schneidern lassen. Vom kommunikativen Wert
her ließ die Situation allerdings zu wünschen übrig, und so beschloß ich, es
den Dutzenden Walter Matthaus gleichzutun; die Vorsicht gebot jedoch vor dem
Sprung einen prüfenden Blick in die Tiefe. Nicht einmal der Schatz von Xanadu
kompensierte einen offenen Schienbeinbruch oder zertrümmerte Knöchel. Ich
berührte gerade mit meiner rechten Hand das Fenstersims, da hob Lord Tryermaine
seine Linke, schnippte mit den Fingern wie ein lästiger Gast nach dem Kellner,
und schon stand ich hinter meinem Nachbarn, der sich gerade die massigen
Hüftpartien einseifte, in der Duschkabine. Der unterbrach, als er meiner gewahr
wurde, abrupt seine Arie aus »La Bohème« — die mit dem Schlüssel — und drosch
mir die Shampooflasche aufs Auge.
     
    Wenigstens erwachte ich nicht,
wie weiland Coleridge im Hause Wordsworth, mit einem geschwollenen Lid.
    Daniel war schon gegangen, das
Klappbett hatte er nicht berührt, auf dem Boden des Zimmers lag die Decke, der
Polster, die Wickel mit essigsaurer Tonerde und ein Zettel. »Wenn Du mich noch
mal brauchst, ruf an. Dein Minotaurus.«

Einunddreißig »Vielleicht«, sagte Anna, »hat Ihr Freund ja recht.«
    Ich hatte ihr, wehrlos
aufrichtig wie immer in ihrer Gegenwart, detailliert von dem Abend mit Daniel
erzählt. Kein Wort allerdings von jenen Teilen des Gesprächs, die sie selbst
betroffen hatten.
    »Nur«, fügte sie hinzu, »dann
müßte ich mich sehr täuschen.«
    Ein letztes Treffen vor einer
Pause hatte Anna vorgeschlagen. Einen besonderen Ort wollte sie dafür haben,
weit weg von Wien, aber nah genug, um nachts zurückfahren zu können. Den Ort
sollte ich vorschlagen.
    Müßig, zu erwähnen, daß ich
keinen Schimmer hatte, was das alles bedeuten sollte. Das bekannte Tableau:
moi, im dunklen tappend.
    »Also nicht: weiterträumen, auf
der Suche nach dem versteckten Schlüssel?«
    »Da können Sie sich gleich auf
die Couch legen, da finden Sie vielleicht nach ein paar Jahren den Schlüssel.
Wahrscheinlich ein dunkles Zimmer, in dem Mama Sie allein gelassen hat. Mit
Monstern vor dem Fenster.«
    Am Himmel wurde es schlagartig
finster. Die Kellner fuhrwerkten hektisch mit Schirmen herum.
    »So hat Daniel das sicher nicht
gemeint. Für ihn sind Psychoanalytiker verrückte Archäologen der Seele,
Spezialgebiet Fossilienfetischismus. Sehen Sie mal « — ich versuchte,
Daniels Stimme nachzumachen -, »was ich ausgebuddelt habe? Ihren Stuhlgang
mit drei. Sehr hart. Wirklich sehr, sehr hart. Wenn uns das nicht zu denken
gibt...«
    Anna lachte nicht, wie sollte
sie auch? Sie war Daniel nie begegnet.
    »Woran hält sich denn Ihr
Daniel?«
    »Er ist eher
zukunftsorientiert. Beschäftigt sich sehr mit seinem Tod, den er ständig
erwartet. Und jeden Tag, an dem er ihn wieder überlistet hat, feiert er als
seinen persönlichen Triumph.«
    »Nicht schlecht. Und Sie, was
glauben Sie?«
    Die Abendsonne freute sich über
die plötzlich weggezogene Riesenwolke und spuckte uns ihren gelben Übermut in
die Gesichter. Wir hoben simultan eine Hand vor die Augen und blinzelten uns
an. Wir, mußte ich sofort denken, was für ein

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