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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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dann
freudig überrascht, daß jedes meiner Gepäckstücke seinen Weg auf das Laufband
gefunden hatte. Zwei Rollwägen erleichterten mir den Transport zur Bahnstation.
Nach Überprüfen der Bahnverbindungen gab ich meiner Landkarte recht und ließ
die Hoffnung, über Windermere reisen zu können, um dort mein Glas auf Mister
Wilde zu erheben, fahren. Es gab einen Zug Manchester Airport-Penrith, der mir
fast zwei Stunden ersparte. Sieg des Pragmatikers über den Romantiker, hätte
Daniel gesagt. Verstaute mit freundlicher Unterstützung eines tätowierten
Riesen mit Sex-Pistols-T-Shirt die ganze Last in einem Sechserabteil, in dem
danach nur noch Platz für mich war.
    In einem unscharfen Traum bat
mich ein leptosomer Herr mit schwarzem Stetson in das Arbeitszimmer von Greta
Hall. Da war es schon, mein Zimmer, schlecht beleuchtet zwar, aber es gab
keinen Zweifel! Ich hatte es auf Anhieb gefunden! Zwei Schatten bewegten sich
darin herum, einer zündete eine Kerze an, warmes Licht umflutete uns, Coleridge
saß am Tisch und umwickelte sich die geschwollenen Beine mit Lappen — was war
das für ein Geruch? Essig? Und warum war da noch ein Kleiderschrank im Zimmer,
rechts hinten in der Ecke? Ach so, Wordsworth kniete da vor meinen geöffneten
Koffern und packte für mich aus, wie aufmerksam, jetzt rüttelte jemand an
meinem Arm, der leptosome Hausherr wahrscheinlich, aber der hatte plötzlich
eine Schaffnermütze auf und sagte »Penrith«.
    Das Enttäuschende an Träumen
sind die Tagesreste.
    Im Bus von Penrith nach Keswick
wurde meine Neugier auf die Landschaft, die Coleridge so in Verzückung versetzt
hatte, rasch gedämpft. Der Wettergott hatte aufgehört, Hundebabys zu zeichnen,
und schüttete aus grauen Zementsäcken Wasserstürze auf die Erde. Die berühmten
Fells waren ohne Licht nur verschwommene Klumpen in trostlosem Schwarzweiß.
    Endlich stand ich, umringt von
meinen stummen Begleitern, auf dem Busbahnhof von Keswick. Ich war angekommen.
Jetzt mußte ich nur noch auf Herbergssuche gehen. Sollte kein Problem sein, im
September eine angemessene Bleibe zu finden, noch dazu in einem Ort, wo an
jeder zweiten Gartentür ein Bed-and-Breakfast-Schild hing.

Zwei Ich erklimme die drei Stufen zur Eingangstür eines mir sympathisch erscheinenden
Gästehauses, stelle meine Koffer und Taschen ab, zünde mir eine Zigarette an
und läute.
    Eine freundliche Landlady
öffnet die Tür, hört sich meine Frage nach einem En-suite-Zimmer an, hüstelt
demonstrativ und antwortet in schlichter Höflichkeit: »Sorry, Sir, we don’t
allow smoking.«
    Dieses Ritual wiederholte sich
während der nächsten drei Stunden, allerdings in immer knapperer Form. Wählte
ich anfangs noch einigermaßen einladende Häuser aus und eröffnete die
Konversation in vollständigen Fragesätzen, so begehrte ich später schon an der
Pforte fragwürdigerer Herbergen Einlaß, immerhin noch mittels freundlicher
Ellipsen à la »is it possible...?« oder »do you mind...?«. Am Ende läutete ich
an der Tür jedes noch so schäbigen Hauses, hob beim Auftauchen einer der
rosiggesichtigen Hausdamen nur noch reflexartig meine Benson und erwartete
demütig das angewiderte »No!«.
    Irgendwann öffnete eine Hand
mit deutlich vergilbtem Zeige- und Mittelfinger die Tür, und da wußte ich
schlagartig, noch ehe das Gesicht über der Hand im Türspalt erschien, daß es
noch andere Abhängige gab, daß unsere Sache noch nicht völlig verloren war.
Aber nahezu gleichzeitig, zermürbt wie ich war nach diesem
Kreuz-und-quer-Gewaltmarsch mit den Gewichten an meinen Armen, blitzte einen
Augenblick lang die Vorstellung auf, Opfer einer perfiden Täuschung geworden zu
sein. Plötzlich ein großes Türaufschlagen, aus allen Bed-and-Breakfast-Häusern
treten gleichzeitig die als Landladys verkleideten Superagentinnen einer
landesweit vernetzten Anti-Raucher-Verschwörung, die Frau im Türspalt erscheint
endlich ganz, mit orangefarbenem T-Shirt, auf dem in schwarzen gotischen
Buchstaben die Schrift »SMOKING KILLS« prangt, die Frau hat ein
überirdisch-rosiges Gesicht, sie zieht zwei gelbe Plastikröhren, abgeschnitten
von einem Pissoir-Putzhandschuh, übergestülpt einzig zu dem Zweck, mich, den
allerletzten Raucher, zu täuschen, von ihren Fingern, und die als
Superagentinnen enttarnten Landladys von ganz Keswick stehen vor ihren
schmucken Häusern und brechen gleichzeitig in ein Gelächter aus, das selbst die
Hölle, die ja voller Raucher ist, dazu bringen würde, von nun an

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