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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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stehenbleiben!« und warf die Haustür ins
Schloß.
    Die Hoffnungen, hinter Janets
Haustür das Zimmer zu finden, hielten sich in Grenzen. Coleridge war in
Grasmere immer nur Gast gewesen, und auch wenn sich Höhepunkte und Tiefschläge
der Freundschaft mit William hier ereignet hatten, so widerstrebte mir doch die
Vorstellung, das Zimmer meiner Träume befände sich unter dem Dach einer
Wordsworth-Kultstätte. Denn nichts anderes war Dove Cottage, auch schon vor
zweihundert Jahren.
    Als sich ein Menschenhäufchen
angesammelt hatte, das groß genug war, als zu führende Gruppe durchzugehen,
öffnete sich die Tür.
    Brav trotteten wir hinter Janet
her, gruppierten uns im ersten Raum um sie herum und lauschten ihren
Ausführungen. Das Haus war ursprünglich ein altes Gasthaus, erzählte Janet, das
»Dove and Olive Branch«, es wurde erst ein paar Jahrzehnte vor dem Einzug der
Familie Wordsworth 1799 umgebaut. Es folgte eine ausführliche Huldigung der
unvergleichlichen Größe Williams, garniert mit Anekdoten aus dem Familienleben.
Als Janet im Tonfall einer Sektenführerin die Ausnahmestellung der Lyrical
Ballads in der englischen Literatur pries, fiel zum ersten Mal der Name
Coleridge. »Ein bemitleidenswerter und lebensunfähiger Mann«, so lautete ihre
Diagnose, »aber zweifellos begabt.«
    Wir stiegen die Stufen zum Arbeitszimmer
hoch.
    Auf Williams Schreibtisch
hatten die Jünger vom National Trust eine Vase mit Narzissen drapiert, eine
Anspielung auf das berühmteste Poem des Meisters — etwas inkonsequent, fand
ich, hieß es doch im Prospekt »there’s more to Wordsworth than Daffodils«.
    Während Janet ihre Eloge
fortsetzte — ich hörte ihr nur mehr mit halbem Ohr zu — , inspizierte ich die
Regale an der Rückwand. Schreibgeräte, Portemonnaies, Portraits, sogar
Schlittschuhe — ein veritabler Reliquienschrein.
    Dann entdeckte ich das
Fläschchen.
    Der Apotheker hatte das Etikett
mit Tusche beschriftet. »Kendal Black Drop« stand da, und diese drei Worte
riefen ein Bild in mir wach, ein entstelltes Gesicht, die Stirn voll brauner
Flecken, die Augen fast verschwunden hinter den aufgedunsenen Wangen: Coleridge
nach der Rückkehr aus Malta, vom Laudanum derart verändert, daß selbst Dorothy
ihn fast nicht wiedererkennt. »Nie zuvor«, schreibt sie an Sara Hutchinson,
»erlebte ich einen solchen Schock wie bei seinem ersten Anblick...»
    Der Schaukelstuhl im Eck des
sogenannten Schwesternzimmers war sichtlich, trotz Janets Beteuerungen, ein
Imitat, aber trotzdem sah ich sofort Dorothy drin sitzen, September 1833 auf
Rydal Mount, vollkommen Beute des Stupors geworden, mit den Journalen auf den
Knien, die die Familie dorthin drapiert hatte — weniger, um den Schein zu
wahren, als in hilfloser Anteilnahme — , Dorothy, nicht einmal mehr fähig, die
Brille zu spüren, die man ihr zwischen die Finger gesteckt hatte. Das Hündchen
zu ihren Füßen, ausgestopft oder nicht, wer weiß das schon, war ihr selbst
weniger Hilfe als dem Maler, S. Crothwaite, dem auf diesem Bild sonst nur das
Schlafhäubchen der alten Dame so gut gelungen ist. Warum ich nicht aufhörte,
hinter Janet und den anderen herzutraben, hing wohl mit meiner Furcht vor dem
Gästezimmer zusammen. Was, wenn es doch mein Traumzimmer war?
    »Wenn ich dich schon«, sagte
Dorothy unter dem Häubchen zu William, »nicht ganz und gar für mich haben kann,
so fall ich dir und deinem Weib wenigstens als Betreuungsfall auf die Nerven.«
    So konnte Dorothy das nicht
gesagt haben. Oje, es war wohl meine Stimme, jedenfalls warf Janet ihren
Schädel herum, packte mich und zog mich zur Vitrine hoch. Hinter dem Glas
verschwamm das garantiert originale Teegeschirr der Wordsworths, auf einer
zusammengestauchten Leinwand sah ich William in bewegten Bildern, Tempo circa
früher Stummfilm, sich vor Dorothy auf den Boden werfen, verzeih mir, schrie
er, bzw. hieß es auf dem eingeblendeten Schriftbild, vergib mir um alles in der
Welt meine Inbesitznahme deiner Weiblichkeit, heirate, bitte, heirate!; in der
nächsten Einstellung kleben Dorothys Journale an seinen Schuhsohlen, er wirft
sich auf den Rücken, will sie sich vom Leder reißen und sofort seinem Verleger
empfehlen, doch unter Schmerzen geht die Fußsohlenhaut mit ab, Blut schießt auf
den Familienboden, aber Dorothy wischt es auf Knien weg mit ihrem Häubchen und
reißt Stoffetzen aus ihrer Bluse, um Williams Füße zu bandagieren. »Sehen Sie«,
sagt Janet, mittlerweile hat sie mich mit dem rechten

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