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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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riesige,
schwefelfarben brennende No-smoking-Schilder aufzustellen, allerdings dann in
Inferno-Italienisch, »voi ch’entrate, lasciate ogni tabacchi«...
    »Was kann ich für Sie tun,
Sir?«
    Ich starrte auf das Wappen
meiner todgeweihten Zunft: eine Hand mit einem Feuerzeug.
    Möchten Sie, fragte eine
Stimme, ein Zimmer oder nur Feuer? Ich wollte beides. Ich war gerettet.
    Später, als wir rauchend bei
einem Willkommenstrunk in der Lounge saßen und ich, stolz darauf, den Inhalt
meiner Koffer derart ökonomisch in dem winzigen Zimmer verteilt zu haben, daß
auch für mich selbst noch ein wenig Platz blieb, in aufgeräumter
Gemütsverfassung war, gelang es meiner Gastgeberin, mich in ein Gespräch über
den Grund meines Aufenthalts zu verwickeln. Nein, sagte ich, Urlaub und
Erholung wären für mich noch nie Motive gewesen, meinen Körper in Bewegung zu
setzen, eigentlich folgte ich beruflich den Spuren eines Dichters, nein, nicht
Wordsworth, der andere, nein, kein Roman, auch keine gelehrte Abhandlung,
vielmehr ginge es mir irgendwie um...
    In diesem Moment betrat der
Gatte den Raum, in Gummistiefeln, die Angel in der rechten Hand, fünf auf Haken
gespießte Regenbogenforellen in der linken, und meine Retterin, die mich
offensichtlich trotz meines Gestammels durchschaut hatte, stellte mich ihm vor:
»Das ist Mr. Markowitsch aus Österreich, Darling. Er ist eine Art Journalist.«

Drei Als ich meinen Paß und mein Geld zu verstauen, die Schublade meines
Nachtkästchens gerade so weit herauszog, bis sie an einen meiner Koffer stieß —
den ich wiederum nur genau dorthin hatte plazieren können, da er mir sonst die
Tür zur Naßzelle verbarrikadiert hätte — , entdeckte ich darin die
unvermeidliche Bibel, und ich beschloß, mir zur Aufhellung meiner Gemütslage
ein paar Kapitel aus der Apokalypse laut vorzulesen, doch die Umsetzung des
hehren Unterfangens scheiterte schließlich an der Unmöglichkeit, die Bibel aus
der Lade zu zwängen, ohne meine Hand zu verletzen. Wenigstens konnte ich meine
Wertsachen durch den Spalt rutschen lassen; sie waren in Sicherheit — und das,
wie ich befürchten mußte, auch vor mir selbst. Ich warf mich rücklings auf die
steinharte Matratze, die in Kombination mit einem Eisengestell mein Bett
bildete, und starrte an die Decke, an der sich eine Spinne, groß wie eine
Hostie, ihren Weg durch die Hügellandschaft der bröckelnden Farbe bahnte. »Habe
heute abend wieder laut geweint«, pflegte Coleridge in vergleichbaren Notlagen
seinem Notizbuch anzuvertrauen, und ich konnte der Versuchung, es ihm
gleichzutun, nur dadurch widerstehen, daß ich mir die Reaktionen meines
Zimmernachbarn ausmalte. Er blätterte gerade hörbar in einer Zeitung.
    Coleridge war mir allerdings,
was seine Zuversicht in die Problemlösungskompetenz der menschlichen Vernunft
betraf, weit voraus. Als er im August 1802 beim Abstieg vom Scafell Pike —
immerhin Englands höchster Gipfel — von Felsvorsprung zu Felsvorsprung hüpfte,
bis er auf einem schmalen Plateau landete, von wo aus es kein Weiterkommen mehr
gab, legte er sich zwar auch flach auf den Rücken, aber nur, um seinem Gott
angesichts der überhängenden Klippen und dahinrasenden Wolkenbänke für die Gabe
der Vernunft und des Willens zu danken. Wenn diese Wirklichkeit, schreibt er,
ein Traum wäre, wenn ich schlafen würde, welche Todesängste würde ich
ausstehen! »Wenn die Vernunft und der Wille abwesend sind, was bleibt uns dann
noch als Dunkelheit und Düsternis und eine befremdende Beschämung; und ein Schmerz,
der der ungebrochene Herrscher über uns ist, und vielleicht noch eine
phantastische Lust, die die Seele in vielerlei Gestalt in der Luft schwimmen
läßt, schwebend wie ein Schwarm von Staren im Wind...«
    Wie er dann »The Reason and the
Will« in die Praxis umsetzte, um aus dieser ausweglosen Lage zu entkommen,
davon steht nichts in den Notizbüchern.
    Ich kam mir hier selbst vor wie
auf einem Felsvorsprung; ich konnte nicht mehr zurück, und jeder Schritt
vorwärts war vom Anhauch einer keineswegs sublimen Lächerlichkeit umweht. »Die
Kraft der Vernunft und des Willens« — ich hatte keine Ahnung mehr, was das sein
sollte. Vielmehr war ich in Versuchung, alle Gefühle und Beweggründe, die in
den letzten Monaten meine Handlungen bestimmt hatten, als Symptome einer
unheilbaren Zwangserkrankung zu deuten. Selbst die Zeichen von Annas Zuneigung
hatte ich vermutlich herbeiphantasiert, um die Aussichtslosigkeit meines
Begehrens vor mir

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