Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert
wegstellen.
Religiös bin ich nicht, ich bin aus der Kirche ausgetreten. Ich glaube an die Kraft in Menschen. Leben ist immer Aktion, Reaktion. Man wirft einen Stein ins Wasser und es bilden sich Kreise. Aber wenn ich am Meer bin und auf den Riesenozean schaue, rutsche ich schon in die kleinen Schühchen rein. Mir hat jemand mal gesagt, dass der Salzgehalt im Meer ungefähr dem der Tränen entspricht. Das hat mir einen Kick gegeben: Ach, so! Du hast alles, was in der Welt vorkommt, in Minidosen in dir: Eisen, Gold, Mineralien. Für mich ist die Vorstellung befreiend, einmal für immer wegzufliegen.
Ich finde, älter zu werden hat auch Vorteile. Als ich jung war, bin ich immer sehnsüchtig etwas nachgelaufen, von dem ich nicht wusste, was es sein könnte. Im Alter ist man selbstbewusster, nimmt sich endlich größere Freiheiten heraus. Fachlich und im Umgang mit Menschen habe ich eine Menge Erfahrungen. Etliche meiner Kundinnen sind verwitwet. Abgesehen von dem schwarzen Kleid, das sie bei mir bestellen, bin ich für viele ein Ansprechpartner.
Ich kümmere mich, helfe gern. In meiner Stammkneipe ist ein Sonderling. Damit er nicht immer abseits von unserer Runde sitzt, spendiere ich ihm regelmäßig ein Bier. Gerade habe ich einem Bekannten die Kaution für seine Wohnung geliehen. Ich sage mir: Überlege nicht, ob du es zurückkriegst. Gib es selbstlos und setze voraus, es ist weg! Weil ich keine Erwartungen habe, werde ich nicht enttäuscht. Der Reichtum anderer hat mich nie neidisch gemacht. Im Gegenteil. Ich freue mich, habe ja auch etwas davon, wenn Leute schöne Sachen haben. Manchmal erschrecke ich, was für unzufriedene, böse Gesichter Luxus hervorbringen kann.
Ich kenne viele Leute, enge Freundschaften habe ich nicht. Vielleicht sind meine Ansprüche zu hoch. Es muss sich schon auch um meine Person drehen. Kann sein, weil ich als Kind immer in der zweiten Reihe war. Wenn ich zu einer Modeveranstaltung nicht ausdrücklich eingeladen werde, bin ich gekränkt und gehe nicht hin.
Ich hätte gern wieder eine gute Freundschaft. Aber ich bin nicht verkrampft auf der Suche nach einer neuen Beziehung. Ich kann auch gut allein leben. Geborgenheit gebe ich mir selbst. Ich habe mir eine schöne Pelzdecke gekauft, meine Möbel mit schönem Stoff beziehen lassen, ich habe schönes Bettzeug. Edle Materialien haben ja auch mit Erotik zu tun. Ich ziehe mich gerne gut an. Ich habe immer Wert auf hochwertige Unterwäsche und gute Strümpfe gelegt, denn die sind im direkten Kontakt mit der Haut. Täglich in frische Wäsche zu schlüpfen, erfrischt mich und hebt das Lebensgefühl. Da kann der Pullover drüber ruhig etwas älter sein.
Ich habe ein schönes Leben. Der letzte Rest wird vielleicht nicht so doll, aber da gibt es auch noch ein paar Honigstäubchen, aus denen ich etwas rausziehen kann.
In der Regel stehe ich morgens sehr gern auf. Um halb sechs trinke ich einen Tee und beobachte, wie es langsam hell wird. Ich frühstücke, lese die taz, danach lege ich mich noch mal kurz ins Bett. Unangenehme, lästige Telefonate erledige ich vormittags zuallererst, damit das weg ist und ich mich auf den Tag freuen kann. Gegen halb zehn gehe ich ins Atelier. Wenn ich mich einsam fühle, unternehme ich etwas spontan. Aber ich bleibe abends oft zu Hause und sortiere den Tag. Einen Fernseher habe ich nie gehabt. Er ist ein Zeitstehler, ich käme nicht dazu, nach innen zu gucken.
Manchmal geht mir durchs Gehirn: Was passiert, wenn du dir die Handwurzel brichst? Aber das dauert nicht lange. Ich sage mir dann: Der Himmel ist blau. Mach dich hübsch, nimm dir 2 , 50 für einen Kaffee und setz dich aufs Fahrrad! Oder geh ins Atelier und räume mal auf. Die Nähmaschine muss geölt werden. Danach freue ich mich, dass ich’s gemacht habe.
Das Banale bringt viel Glück. Der Vorteil eines schöpferischen Berufes ist: Ich werde einmal etwas hinterlassen. Ich habe dem Modemuseum viele Stücke gestiftet, bin stolz, dass sie gesammelt werden. Vor einigen Tagen sagte mir ein Bekannter: »Du siehst ja blendend aus. Wie machst du das?« Ich sagte: »Ich fühle mich einfach wohl.«
In den Warteräumen des Glücks
»Im Haus des Glücks ist der Warteraum das größte Zimmer.« Ein schrecklicher Satz. Doch nimmt man die trübsinnige Sicht des Pessimisten ein, so weitet sich das Wartezimmer zu einem Geschoss, in dem sich hinter jeder Tür Menschen mit Ersatzangeboten begnügen, weil das Glück anderswo schwer zu finden ist. Die Palette der Surrogate
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