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Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert

Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert

Titel: Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina von Kleist
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oberflächlichen Alltag verlorengeht. »Unsere Lebensräume in der Ersten, wohlhabenden Welt sind erfahrungs- und sinnenarm geworden, es sind temperierte Räume. Wir werden kaum einmal bis auf die Haut nass. Wir sind nicht bedrängt von Kälte und Hitze. Wir wissen kaum noch, was Hunger und Durst sind. Man erfährt kaum eine vollkommene Stille. Vermutlich sind auch unsere erotischen Erfahrungen gedämpfter, als sie früher waren, gerade weil sie umstandslos zu haben sind. Vielleicht bezahlen wir den Fortschritt der Freiheit mit dem narkotischen Gefühl der Welt und dem Leben gegenüber. Dies dürfte einer der Gründe sein, warum Menschen dazu drängen, sich selber zu spüren, zu erleben und mit sich zu experimentieren« 50 , diagnostiziert Fulbert Steffensky einen Mangel, von dem von Wellness-Tempeln über Selbsterfahrungsgruppen bis zur Biobranche alle profitieren, die Leib und Seele wieder mehr in Einklang bringen wollen.
    Als Leiter eines großen Demeter-Betriebes natürlich erfreut über die Öko-Szene, führte mein Gesprächspartner Sascha Philipp für deren Wachstum außer der verdienstvollen Sorge um die Umwelt auch egoistische Gründe an. Indem nur das Gesündeste auf den Tisch kommt, nährt man auch sein kostbares Ich. Das Bewusstsein, es richtig und besser zu machen, schweißt die Gemeinde zusammen, die sich im Bioladen trifft und grüßt. »Für ein gewisses Maß an Askese und Verzicht gibt es ein gesteigertes Selbstwertgefühl, Selbstgenuss« 51 , beleuchtet Heiko Ernst den Gewinn eines natürlicheren Lebens, das zwar in die Haushaltskasse Löcher reißt, dafür aber auch größere Einheitlichkeit und Status verleiht.
    Doch auch die Abkehr von minderwertigen Nahrungsmitteln, mit denen man buchstäblich abgespeist wird, und die rigorose Absage an alle Entfremdende können zur Ersatzbefriedigung werden. »Die besondere Schwierigkeit im Erkennen von Ersatzbestrebungen liegt darin, dass alle natürlichen Bedürfnisse entartet benutzt werden können. So wird aus Essen Fressen, aus Trinken Saufen, aus lustvoller Sexualität aggressives Abbumsen oder Promiskuität, aus Liebe Liebesforderung, aus Arbeit Arbeitswut, aus Helfen Helfersyndrom, aus Kontakt Anklammern«, analysiert der Hallenser Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz 52 das Übermaß, das Ersatzbefriedigung unterscheidet von wirklich Erfüllendem. Wandert nur noch absolut Makelloses in den Einkaufskorb, wird jede Apfelsine auf Druckstellen überprüft, dann pervertiert die Sorgfalt zum Kult, der Leerstellen im Leben aufwiegen soll. Ebenso wie das atemlose Haschen nach Außenreizen zeigt auch das Streben nach Perfektion seelischen Hunger an. Während Menschen mit Halt in sich selbst pendeln im ausgewogenen Rhythmus von Anspannung und Entspannung und bei aller Genauigkeit gegebenenfalls großzügig über Unzulängliches hinwegsehen können, verbeißen sich unzufriedene Menschen oft in die optimale Lösung. Oder sie begnügen sich mit der zweitbesten Wahl, weil sie keine Geduld haben, Wünscherfüllungen aufzuschieben.
    Vor dem Hintergrund des hedonistischen Lebensprinzips –in allen möglichen Varianten und Mogelpackungen– ist es erstaunlich, wie zögerlich sich Menschen häufig darauf einlassen, wenn es wirklich etwas zu feiern gibt. Überstrahlten in früheren Zeiten Feste die langen abwechslungsarmen Arbeitsphasen und freute man sich Monate im Voraus auf den jährlichen Höhepunkt, so ist die wöchentliche Party oft nur noch (lästige) Pflicht. Die inflationäre Anzahl von Jubiläen und Festivitäten erzeugt zwangsläufig Übersättigung. »Heute zerfällt die Mahlzeit in viele kleine Bissen zu jeder Zeit« 53 , bringt die Publizistin Hannelore Schlaffer die Allgegenwärtigkeit von Genuss und Vergnügen auf den Punkt, dessen Preis ist, dass wir die einst geradezu orgiastischen Feste zerstückeln zu Dutzenden banalen Feieranlässen. Dass wir uns für den Theaterbesuch nicht mehr ins »kleine Schwarze« zwängen und selbst im Pariser Opernfoyer Damen und Herren selten in Gala auftreten, entkoppelt Modenschau und Kulturbereich und öffnet diesen auch für nicht betuchte Besucher. In Jeans und Pullover, oft schon auf dem Sprung zum nächsten Termin, ziehen wir mögliche Krönungen des Alltags jedoch auch auf die Alltagsebene herab. Als (chronisch) eilige Zaungäste, die sich zum Jubiläum, Geburtstag, zur Hochzeitsfeier nicht extra in Schale schmeißen, versagen Gäste dem besonderen Anlass und Rahmen die Würdigung und steuern durch nachlässige

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