Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert
Hüttchen und haben aus diesem wunderbaren Service Earl Grey getrunken. Ich dachte: So möchte ich auch mal werden. Sein ausgefeilter Geschmack hat mich beeindruckt. Er war auf dieses Service fixiert und wich nicht auf irgendetwas Preiswerteres aus. Wenn es Tee gab, dann nur Earl Grey. Sonst wurde eben Wasser getrunken.
Meinen Freund Reinhard habe ich in der Kneipe getroffen. Es war keine Liebe auf den ersten Blick. Ich dachte: O Gott, der ist Verkäufer bei Möbel Krieger. Das ist ja doch ein bisschen scheiße. Und er war 13 Jahre jünger als ich. Aber ich merkte bald, dass er in Details sehr sorgfältig war. Er zog sich sehr hübsch an, sah immer gepflegt aus. Er hatte Sinn für Qualität, kam nicht mit irgendwelchem Mist von Woolworth an. In Restaurants bestellte er das Beste. Das hat nichts mit Geld zu tun. Wir sind lieber einmal teuer als dreimal billig essen gegangen. Von ihm bekam ich nach einer Modenschau meinen ersten Blumenstrauß geschenkt. Ich war glückselig, völlig aufgeweicht. Daran merkt man, was man eigentlich nicht erlebt hat.
Als wir uns kennenlernten, war ich ja am Anfang meiner Karriere, wenn ich das so bezeichnen darf. Dass er mich als großen Meister ansah, spornte mich an, mich zu steigern. Mein Freund hat dann im Möbelhaus gekündigt und als Propagandist in einem Kaufhaus Bratpfannen verkauft. Ich bewunderte seinen Einsatz, Enthusiasmus. Ich habe ihm samstags manchmal geholfen, und er hat mir mal ein Mannequin finanziert oder Dekorationen für meine Modenschauen besorgt. Dass jemand so mitzieht, fand ich toll. Unsere Beziehung deckte alles ab, was ich mir gewünscht hatte. Das Ding war einfach rund.
In einer Liebesbeziehung ist das Wichtigste gegenseitiges Vertrauen. Und Hingabe. Gut im Zusammenleben ist, dass jemand einen auf Verhaltensweisen aufmerksam macht, die sich unmerklich einfummeln. Dass jemand sagt: »Nee, so geht das nicht«, wenn man eine Dose Ravioli aufreißt und im Stehen kalt verschlingt. Es muss einfach Zeit genug sein, den Tisch hübsch zu decken. Wenn eine Beziehung auf Freiwilligkeit beruht, muss man jeden Tag etwas dafür tun. Glück kommt ja nicht durch die Decke geflogen. Klar, wir haben uns auch in die Wolle gekriegt. Wenn etwas anstand, sind wir in eine Kneipe gegangen, haben eine Flasche Sekt bestellt und haben dann geredet. In der Öffentlichkeit kann man die Stimme nicht so erheben. Wenn wir nach Hause gingen, war das Thema abgehakt. Den Wunsch zu heiraten hatte ich nie, doch wir hätten beide gern ein Kind adoptiert. Der Gedanke hatte sich erledigt, als Reinhard erkrankte.
1985 bekam er die Diagnose: HIV - positiv. Da waren wir 19 Jahre zusammen. Wir dachten, es würde ganz schnell gehen. Reinhard empfand das als Strafe Gottes für sein Schwulsein. Wir haben es wenigen erzählt. Aids war damals noch eine Schwulenkrankheit, eine Krankheit dritter Klasse. Insgeheim dachten sicher viele: Einer weniger ist besser als zwei zu viel.
Wir sind dann von unserer 300 -Quadratmeter-Wohnung in meine jetzige 54 -Quadratmeter-Wohnung gezogen und sind mit meinen Ersparnissen mehrmals nach Nizza gefahren. Ich habe Reinhard gesagt: »Wir reisen, bis das Geld alle ist.« Vorwürfe habe ich ihm nie gemacht. Ich sagte mir: »Wir waren zusammen lange auf der Goldseite. Und jetzt trägst du das Unglück mit.« Reinhard wurde immer schwächer, er ist einfach so weggerutscht. Bei seiner Beerdigung dachte ich, ich muss mich dazulegen. Viele enge Freunde hatten wir nicht, aber dass keiner seiner Kollegen und niemand aus seiner Familie da war, habe ich bis heute nicht begriffen. Ich habe dadurch auch lange keinen Trost gefunden. Die Trauer kann einem niemand abnehmen, aber es hätte gutgetan, wenn jemand mal zugehört hätte.
Die ersten Wochen nach Reinhards Tod erinnere ich nicht mehr genau. Ich denke, ich habe versucht, praktisch zu werden. Es ist wichtig, dass wenigstens der Alltag funktioniert. Sonst wird man völlig aus der Bahn geworden. Nach Trennungen, Abschieden ackere ich. Arbeit ist Disziplin, ich muss dann zurück zu den Wurzeln. Ich knüpfe buchstäblich wieder an dem Fädchen an, wo ich aufgehört habe. Über den Berg war ich jedoch erst, nachdem ich vor einigen Jahren eine Therapie gemacht habe. Die Therapeutin sagte mir: »Stellen Sie sich ein Foto von Ihrem Freund hin, und jedes Mal, wenn Sie aus dem Raum gehen, verabschieden Sie sich von ihm.« Es passierte etwas Merkwürdiges. Nach einiger Zeit verwischte sich Reinhards Gesicht. Irgendwann konnte ich das Foto
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