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Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert

Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert

Titel: Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina von Kleist
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Gefühle zu analysieren, sei es aus Abneigung oder mangelnder Übung. Dann wieder bricht ihre Einsilbigkeit in unverblümter Pointierung auf. Dem Bild einer eingeschworenen, weltfremden Klostergemeinschaft hatte sie mehrmals vorgebeugt. Wie alle Konventualinnen werde sie im Falle dauerhafter Pflegebedürftigkeit ausziehen müssen.
    Ich erinnere mich, dass ich als Kind einmal furchtbar geweint habe. Meine Mutter fragte mich: »Warum weinst du denn?« Ich sagte: »Weil ein so schöner Tag zu Ende gegangen ist.« Ich bin 1921 als Älteste von fünf Geschwistern geboren. Meine vier Brüder kamen kurz hintereinander. Wir wuchsen auf dem Lande auf. Alles war weit, großzügig. Meine Eltern besaßen in Hinterpommern ein Rittergut. Aber wir hatten Sandboden. Und Sandboden bedeutet arm. Wir hatten einen sicheren Rahmen, es gab eine Menge Dienstpersonal, wir wurden jedoch dazu erzogen, dass man nicht zu viele Ansprüche stellt. Nicht an das Leben und nicht an andere Menschen. Es galt der Grundsatz: Weniger ist mehr. Das wurde nicht so formuliert. Es ist eine Empfindung, Lebenseinstellung, die man in sich hat. In materiellen Dingen waren unsere Eltern sehr bescheiden, nicht in ihren geistigen Ansprüchen. Sie waren sehr ernste Menschen. Mein Vater, Jahrgang 1881 , interessierte sich für Philosophie, las Schopenhauer und Nietzsche. Er war eigentlich Jurist und hat von seinem Erbe das Gut gekauft. Er erzählte, sein Bruder habe ihm damals, vor dem Ersten Weltkrieg, vom Kauf abgeraten. Der Boden sei schlecht und steinig. Die Antwort meines Vaters war: »Aber es ist doch so schön.«
    Land, Boden, Erde, die Scholle: Das ist für mich Glück. Ich hatte in meinem Leben immer ein Stückchen Garten, entweder, wo ich wohnte, oder in den Kliniken, in denen ich arbeitete. Kennen Sie das chinesische Sprichwort? »Willst du für eine Stunde glücklich sein, so betrinke dich. Willst du für drei Tage glücklich sein, so heirate. Willst du für acht Tage glücklich sein, schlachte ein Schwein und gib ein Festessen. Willst du aber ein Leben lang glücklich sein, schaffe dir einen Garten.« Die Erde, auf der man groß geworden ist, prägt sehr. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die auf Sand oder Stein groß wurden, ganz anders sind als Menschen, die auf Moor oder auf Lehm aufgewachsen sind. Über persönliches Glück wurde bei uns zu Hause weder nachgedacht noch gesprochen. Man schrieb zwar ins Poesiealbum: »Willst du glücklich sein im Leben, trage bei zu andern Glück. Denn die Freude, die wir geben, kehrt ins eigene Herz zurück.« Gefühle waren jedoch kein Gesprächsthema. Man nahm sich nicht so wichtig. Es wurde über Pflichten gesprochen: Das tut man, und das tut man nicht. Wir Kinder hatten alle kleine Aufgaben: Schuhe putzen, Harken, wir hielten die Blumenbeete sauber. Es gehörte auch mit zur Erziehung, dass man nicht so in den Spiegel guckte. Gut angezogen war man, wenn es der Gelegenheit entsprach. Als ich in Stettin die Oberschule besuchte, war ich das Trampel vom Land. Aber das hat mein Selbstwertgefühl nicht verletzt.
    Der Kern unseres Familienlebens war eine unreflektierte Sicherheit. Sicherheit bedeutete: Alles war in Ordnung. Morgens ging die Sonne auf, man hatte genug zu essen, abends schlief man in seinem Bett. Spielsachen hatten wir kaum. Weihnachten bekamen wir ein paar Strümpfe geschenkt, wenn es hoch kam, auch mal ein Buch. Wir haben mit Dingen gespielt, die wir draußen fanden. Besonders gern erinnere ich das Raufen nach dem Mittagessen. Nach Tisch haben meine Eltern Parteien gebildet, und dann durften wir gegeneinander antreten. Wir waren ja eine große Kinderschar, hatten oft Besuch. Es war eine Welt mit festen Regeln, jeder kannte seine Grenzen. Die persönlichen, also, was man kann und was man nicht kann. Und die Grenzen, die gesellschaftlich vorgegeben waren. Ich denke, Regeln engen nicht ein. Sie machen frei.
    Für mich blieb meine Mutter lebenslang ein unerreichbares Vorbild. Sie war eine vollendete Dame, bildschön, sehr gebildet. Sie hat sich immer richtig benommen. Körperliche Zärtlichkeiten wurden in unserer Familie nicht ausgetauscht. Ich habe meiner Mutter nur einen Handkuss gegeben. Es ist anzunehmen, dass mich das geprägt hat. Vielleicht hatte ich dadurch zu anderen Menschen immer Distanz. Aber ich habe als Kind nichts vermisst. Ich vermute, dass mir schon als Kind der Glauben Sicherheit gab. Wir wurden christlich erzogen, sonntags gingen wir in die Kirche, vor dem Mittag- und

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