Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert
Abendessen und vor dem Schlafengehen wurde gebetet.
Wenn meine Mutter einen von uns bei einer Untat ertappt hatte, hat sie die ganze Kinderschar in eine Reihe gestellt, und dann kriegte jeder, patsch, patsch, eine Ohrfeige. Sie sagte: »Ihr habt es alle gewusst. Warum habt ihr den Übeltäter nicht abgehalten? Und falls einer unschuldig was abkriegt, soll er das nehmen für das Mal, wo ich nicht drauf gekommen bin.« Wenn wir etwas ausgefressen hatten, was eine lässliche Sünde war, mussten wir Texte aus »Plisch und Plum« oder aus »Max und Moritz« auswendig lernen. Wenn man wirklich Mist gebaut hatte, musste man Schwierigeres auswendig lernen, dessen Sinn wir oft gar nicht verstanden haben. Zum Beispiel: »Die Sonne tönt nach alter Weise /In Brudersphären Wettgesang /Und ihre vorgeschriebne Reise /Vollendet sie mit Donnergang.« Heute habe ich ein großes Repertoire an Gedichten und Liedertexten.
Über die Zeit im Nationalsozialismus habe ich mit niemandem gesprochen. Auch mit meiner Mutter nicht, obgleich wir nach dem Krieg einige Jahre zusammenwohnten. Da meine Eltern zur Bekennenden Kirche gehörten und wir jüdische Verwandte hatten, wussten wir, dass es Konzentrationslager gab. Mein Vater starb 1938 . Er war deutsch-national und meinte bis zu seinem Tod, Deutschland müsse wieder einen Kaiser haben. Politische Themen wurden jedoch möglichst gemieden. Nicht jeder ist zum Helden berufen. Im Abitursaufsatz wollte ich über »Die Buddenbrooks« schreiben. Mein Deutschlehrer sagte: »Das lassen Sie mal lieber sein.« Da habe ich aus utilitaristischen Gründen das Thema »Volk ohne Raum« gewählt. Man hat ja in der NS -Zeit nicht nur an sich selbst gedacht, sondern auch an die Gefährdung der Angehörigen.
Nach dem Abitur habe ich in einem evangelischen Krankenhaus in Danzig gearbeitet. In diesem Klima war die nationalsozialistische Ideologie nicht so relevant. Aber es war damals so: Meine Brüder waren wild darauf, am Krieg teilzunehmen. Sie hatten Angst, der Krieg könnte vorbei sein, bevor sie groß sind. Der Zweitjüngste war Flieger und blieb vermisst.
Eine meiner größten Glückserfahrungen hatte ich auf der Flucht 1945 . Mir wurde plötzlich tief bewusst: Deutschland, Preußen gibt es nicht mehr. Es ist alles, alles vorbei. Aber das Christentum lebt! Ich kann mich an das Gefühl der Freiheit erinnern, als ich nur noch das besaß, was ich auf dem Rücken trug. Ich fühlte mich leicht und glücklich, weil ich nichts mehr an irdischem Besitz hatte. Natürlich, später fing ich wieder an zu sammeln. Vom Lastenausgleich habe ich sofort ein Sofa gekauft. Es ist schön, wenn man ein bisschen Geld in der Hinterhand hat. Nicht viel, aber genug, dass man den anderen nicht zur Last fällt, wenn es mal ganz schlimm kommt. Aber dieses Freiheitsgefühl »Omnia mea mecum porto« (»Alle meine Habe trage ich bei mir«) werde ich nicht vergessen.
Unterschwellig ist mein Lebensgefühl Glück. Aber absolutes Glück, das ist ganz selten. Glück ist, wenn ich etwas sehr Schönes sehe: eine Blume, ein Gemälde, Architektur, Landschaften. Zu Hause in Hinterpommern der Blick über den See. In München die Ludwigstraße in einer bestimmten Beleuchtung. Oder ein guter Gottesdienst. Gewählt habe ich dieses Stift wegen der wunderbaren Kirche.
Nach dem Krieg habe ich München zusammen mit meiner Mutter gewohnt und als leitende Krankengymnastin in einer Herz-Lungen-Klinik gearbeitet. Nach acht Jahren konnte ich die Apparatemedizin und das unnatürliche Sterben nicht mehr ertragen. Beruflich war meine glücklichste Zeit, als ich in den 60 er Jahren eine Zusatzausbildung für bewegungsgestörte Kinder in Berlin machte. Gern hätte ich selbst Kinder gehabt. In meiner Generation sind jedoch viele Männer gefallen. Und durch meinen Beruf habe ich sehr viele kleine Kinder im Arm gehalten. Das hat mich mit großer Dankbarkeit erfüllt. Wenn man eine Partnerschaft nicht geschenkt bekommt, dann ist das auch recht. Danach zu strampeln kann man sich doch ersparen. Ich hatte eine große Liebe in Brasilien, wo ich mehrmals eine Tante besuchte. Die Verbindung hat sich gelöst, weil er plötzlich gestorben ist. Wahrscheinlich hat er sich das Leben genommen hat. Er war depressiv.
Mich interessieren Menschen. Sie sind ja Welten für sich, da braucht man gar nicht so weit wegzufahren. Ich habe gern Verwandte, Bekannte besucht und habe mich gefreut, wenn sie gekommen sind. Mit meiner Nichte bin ich sehr dicke. Ich habe im Leben viel
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