Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert
Verantwortung gehabt für behinderte, kranke Menschen, habe sie mit Freude gefördert und betreut. Aber dass andere Menschen in mir Glück hervorrufen, dazu bin ich zu kritisch.
Ich hatte eine gute Freundin. Nach dem Abitur haben wir uns in der ländlichen Hauswirtschaftsschule für höhere Töchter kennengelernt. Wir haben uns geschrieben, uns besucht, wir sind viel gewandert, einmal sind wir zusammen nach Rom gefahren. Wir waren sehr vertraut, aber über Gefühle haben wir kaum gesprochen. Unsere Themen waren die Familie und Kunstgeschichte. Was uns unbedingt verband, war unser Glaube, aber auch darüber brauchten wir nicht zu reden. Ich finde es indiskret, in das Innere von jemandem einzudringen. Was einen wirklich bewegt, geht nur Gott an.
Nach Berlin bin ich nach dem Mauerbau gezogen. Ich hörte die Nachricht, als ich auf dem Schiff aus Brasilien zurückfuhr. Da mein Bruder in Ostberlin wohnte und ich ihn besuchen können wollte, nahm ich in West-Berlin in einer psychiatrischen Klinik eine Stelle an. Am Wochenende bin oft zu ihm und meiner Schwägerin nach Ostberlin gefahren. Es hat mir Spaß gemacht, alles Mögliche rüberzuschmuggeln.
In der Psychiatrie habe ich die Erfahrung gemacht, dass wir alle in uns haben, was in Potenz als Schwachsinn gilt. Was ist schon normal? Ich erzähle Ihnen etwas Lustiges: Durch die Medikamente werden psychisch Kranke leicht dick. Es war also meine Aufgabe, sie zu bewegen. Also ein großer Kreis, alle standen, und ich sagte: »Tief und hoch, tief und hoch. Frau Lehmann, machen Sie doch mit! Tief und hoch. Na, kommen sie, Frau Lehmann, tief und hoch. Geht’s gar nicht, Frau Lehmann? Probieren Sie’s mal.« Ihre Antwort: »Wat soll ick mir bücken, wenn Sie mir doch gleich wieder hochjagen.« Ist doch herrlich! Die war einem doch über! Ich habe dann eine Gartenkolonne eingerichtet, damit die Patienten wussten, wofür sie sich bewegen.
Aufgehört habe ich in der Psychiatrie, weil ich nach zehn Jahren sehr erschöpft war und eine schwere Depression bekam, die auch behandelt wurde. Ich lebte ja hinter doppeltem Stacheldraht. Es gab die Mauer um Berlin und die um die Klinik. Wahrscheinlich hing es auch mit der hormonellen Umstellung zusammen. Alles erschien mir grau, schlecht, ich konnte mich zu nichts aufraffen. Man schafft nichts, traut sich nichts zu. Ich konnte auch keine Musik hören. Wenn ich zur Kirche ging, habe ich da nur geheult. Anderthalb Jahre war ich sehr unglücklich. Ich denke, die Zeit hat mich geheilt. Und meine Schwägerin hat mir sehr geholfen. Nicht, indem sie das großartig analysierte. Sie sagte: »Komm und wohne mal eine Zeitlang bei uns.«
Ich könnte mir vorstellen, dass Gott einen in die Wüste schickt, damit man nicht denkt: Holla, hier bin ich. Alles kann ich machen! Viele Menschen haben ja die Grundeinstellung: Erkenne dich selbst, und sie sagen: »Ich mache jetzt das, ich verwirkliche mich.« Ich finde, Selbstverwirklichung ist ein schreckliches Wort. Menschliche Verantwortung muss den Bezug zu Gott haben. In einer Depression erfährt man, dass man nichts oder wenig kann. Zu bitten: »Gott, erhöre mich. Begleite meinen Gang«, ist eine Geste der Demut. Die fällt vielen Menschen schwer. Aber man kann das üben. In der Krankengymnastik ist Übung ja das A und O. Meine Erfahrung ist: Es braucht auch Übung beim Beten, im Glauben, im Vertrauen, beim Loslassen. Ich halte oft Zwiesprache mit meinem Schutzengel. Vor allem dann, wenn ich mit mir unzufrieden bin, weil ich mich gegenüber Menschen nicht beherrscht habe. Es passiert häufig, dass mir etwas auf den Wecker geht und mir etwas rausrutscht, was mir im Nachhinein unheimlich leidtut. Manchmal schaffe ich es dann, dass ich mich entschuldige. Manchmal kann ich es nicht. An Gott habe ich nie gezweifelt, aber an mir zweifele ich bisweilen. Wenn ich schlechte Gedanken habe, bin ich gern bei Martin Luther, der sagt: »Die schwarzen Gedanken sind wie Vögel. Man kann nicht verhindern, dass sie um den Kopf fliegen, aber man kann verhindern, dass sie Nester bauen.« Das ist doch nett.
Seit 20 Jahren wohne ich hier im Stift. Als ich das Ende meiner Berufszeit auf mich zukommen sah, bin ich am Wochenende herumgereist und habe in Niedersachsen Stifte und Klöster angesehen. Als ich diese Kirche sah, wusste ich, dass ich hier bleibe. In diesen Mauern steckt etwas Freiweltliches. Wir werden bei Führungen oft gefragt, was uns verbindet. Ich antworte: Was uns bestimmt verbindet, ist der Wunsch, dass wir die
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