Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert
tausendjährige Tradition nicht abbrechen lassen wollen. Als Kapitularin ist man Miteigentümerin des Stiftes und muss sich um vieles kümmern. Es gibt hier etliche Angestellte, da ist es gut, wenn man sich erkundigt und ihre Arbeit würdigt. Ich organisiere Konzerte. Wenn ich Klosterführungen mache, freue ich mich, wenn ich Besucher in Schwung kriege und sie interessiere. Das ist manchmal schwere Arbeit, meistens kriege ich es hin. Wenn ich keine Führungen habe, bemühe ich mich, Menschen zu besuchen, von denen ich denke, sie freuen sich. Ich bin als Abgesandte der Gemeinde im dörflichen Besuchskreis zu Geburtstagen. Weil ich am längsten im Stift bin, repräsentiere ich auch oft das Stift. Und ich bemühe mich, jeden Tag richtig zu kochen. Gutes Essen ist ja auch ein kleines Glück.
Die Stadt habe ich nie gebraucht. Ich mache viel Handarbeit, lese, ich habe noch erstaunlich gute Augen. Abends lege ich Patiencen, höre dabei klassische Musik, ich schreibe Briefe, allerdings nicht so viel, wie ich möchte, weil ich dazu meist zu träge bin. Im Fernsehen sehe ich gern Krimis. Und wenn ich müde bin, gucke ich mit Wonne Rosamunde-Pilcher-Filme. Herz, Schmerz, wunderschön. Ein bisschen Schnulze kann ich gut vertragen.
Leider komme ich viel zu selten auf den Friedhof. Ich würde gern häufiger die Gräber der Damen besuchen, die schon verstorben sind, aber ich kann nur noch schlecht laufen. Als junge Frau hatte ich eine schwere Blutvergiftung, seither habe ich ständig Rückenschmerzen. Früher bin ich trotzdem gewandert, heute strengt mich jeder Schritt an. Gereist bin ich nicht viel. Ich war mehrmals in Brasilien, in Rom, ich habe mal ein Berufspraktikum in London gemacht. Mein Abenteuer ist der Garten. Zu beobachten, dass alles ganz anders wächst, als man es sich vorgestellt hat. Mit einem Garten muss man lernen, dass man nicht pflanzen kann, was man will, sondern was der Boden mag. Ich liebe Rittersporn, Phlox, doch Rittersporn geht mir hier regelmäßig ein. Gut gedeihen Begonien und Rosen.
Glück ist für mich heute vor allem Stille. Ich muss den rasanten Wandel der Welt nicht mehr begreifen, verstehe oft überregionale Zusammenhänge nicht mehr. Bei Führungen erlebe ich oft, dass Menschen sagen: »Ach, es ist ja so wundervoll still.« Sie sind sich nicht klar, was sie brauchen, aber wenn sie es dann kriegen, freuen sie sich darüber. Aber es wird nichts so leicht gestört wie die Stille. Schwer im Alter ist die zunehmende Nervosität. Ich bin sehr lärmempfindlich geworden und habe große Angst davor, dass ich einmal in ein Heim muss, wo permanent Musik gehört wird. Alte Leute hören schlechter. Damit sie nicht allein sind, stellen sie das Radio laut.
Meine Wünsche für die Zukunft? Natürlich, ich hätte gern weniger körperliche Gebrechen, fände es schön, wenn ich nicht so viel vergesse, ich möchte anderen nicht zur Last fallen. Aber man hat das ja nicht in eigener Regie, und sich dagegen aufzulehnen ist einfach dumm. Vor dem Sterben habe ich jetzt keine Angst. Aber das kann sich ändern. Ich habe so viele Menschen sterben sehen. Es ist jedesmal erschütternd und jedesmal anders. Ich möchte auf jeden Fall nicht so viel Technik dazwischen haben.
Das Ziel, das ich anstrebe, ist Erkenntnis. Pfingsten, nicht Weihnachten ist für mich das schönste christliche Fest. Ich sprach neulich mit einem Priester, der sagte: »Wenn man zehn Weihnachtsfeiern hinter sich gebracht hat, muss man schon einen starken Glauben haben.« Das kann ich gut nachvollziehen. Für mich ist Lebensreichtum, dass ich das Christentum kennengelernt habe und die Möglichkeit habe, darin zu wachsen. Ich weiß: Alles was ich falsch gemacht habe im Leben, und man macht ja viel falsch, dafür ist Christus gestorben. Und Gott hat mir auch einiges gelingen lassen. Wie Gott ist? Das ist falsch gefragt. Er ist! Er ist alles. Das Christentum ist ein Schatz, den viele Menschen nicht wahrnehmen. Es gehört jedoch zur menschlichen Freiheit, sich gegen Gott zu stellen. Ich war mal mit einem Arzt befreundet, der sagte: »Nein, mit dem Christentum habe ich’s nicht.« Aber er lebte nach christlichen Werten, war Menschen derart zugewandt. Ich will niemanden missionieren. Christus sagt ja seinen Jüngern: »Ihr seid das Salz der Erde.« Eine Prise! Ein ganzer Klumpen wäre ungenießbar.
Die Feinde des Glücks
»Gefährte im Elend«– dies sei eigentlich die passende Anrede zwischen Menschen, fand der Philosoph Arthur Schopenhauer. 61 Ähnlich
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