Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert
Arbeit machen. Heute läuft mein Business, doch falls morgen niemand mehr anruft und meine Arbeit wegbricht, hätte ich hundert andere Ideen, zurechtzukommen, und sei es, dass ich bei einem Bauern umgraben gehe.
Unglücklich war ich zum letzten Mal, als ich entschied, nicht mehr bei meinen Eltern zu übernachten, weil es von meiner Mutter überhaupt kein Verstehen, keine Unterstützung gibt. Ich merke: Sie erträgt nicht, wie ich bin. Und ich ertrage sie nicht. Einer ihrer Standardsätze ist: »Mein Mann ist das Gehirn«, und so ist es auch. Als ich entschied, mich zurückzuziehen, ging eine Traurigkeit durch mich hindurch, die mich erstaunte, aber ein paar Tage später hatte ich wieder meinen Seelenfrieden. Ich sehe die Situation, aber ich spüre sie nicht mehr.
Nächstes Wochenende halte ich in der Steyr einen Vortrag über das Thema: »Nicht Spiritualität, sondern Bewusstsein führt uns zum Erkennen von Menschsein.« Ich werde anderthalb Tage mit Menschen ein Seminar machen und die Fragen »Wie kreiert man Visionen? Wie kommt man dahin zu sagen: Mein Leben ist glücklich?« mit Körper- und Visualisierungsübungen ergänzen. Mein Ziel ist, dass die Teilnehmer zum Schluss das Gefühl haben: Ich habe wieder Lust auf mein Leben, ich bin echt angetörnt. Ich glaube, glückliche Menschen wissen, dass sie glücklich sind. Sie fragen nicht: »Bin ich schlank genug, hübsch genug, habe ich das richtige Auftreten?« Wenn sie in den Spiegel schauen, setzt nicht sofort die Korrektur ein. Sie sagen nicht: »Ja, man muss ja glücklich sein«, sondern: »Ich bin’s.«
Ruth W.: »Glück liegt in der Stille.«
Als wir die Kirche des Stiftes Fischbeck betreten, hat die Führung bereits begonnen. Aufmerksam lauschen Besucher der zierlichen, auf den Stock gestützten alten Dame, die sachkundig und humorvoll die tausendjährige Geschichte des Klosters schildert. Ein stiller Ort, wie aus einer anderen Zeit. Wenige Kilometer von Hameln entfernt, gehört die romanisch-barocke Klosteranlage mit Kreuzgang und Kräutergarten zu den 15 evangelischen Klöstern und Stiften in Niedersachsen, in denen ältere Frauen unter der Leitung einer Äbtissin in einer freiheitlichen christlichen Gemeinschaft leben. Mehr noch als die Kunstschätze zieht die Ausstrahlung unserer Klosterführerin die kleine Gruppe in ihren Bann. Jeder scheint die besondere Begegnung zu spüren, als die Stiftsdame in der Krypta einen Choral anstimmt. Insgesamt acht Konventualinnen wohnen derzeit in dem Stift an der Weser, das 955 für unverheiratete Töchter des Landadels gegründet wurde und heute eine christliche Einrichtung für alleinstehende, verwitwete und geschiedene Frauen ist. Wirtschaftlich unabhängig, helfen sie ehrenamtlich bei den kulturellen, sozialen und praktischen Aufgaben des Stiftes mit und bekommen dafür mietfrei eine eigene Wohnung. Seit 20 Jahren lebe sie hier, sie sei somit die Dienstälteste der Stiftsdamen, verrät unsere Klosterführerin Ruth W. Bei der Verabschiedung bitte ich sie, wiederkommen zu dürfen. Welches Leben schenkt einem Menschen so ein leuchtendes Gesicht?
In festlichem Schwarz und noch ein wenig gebeugter, kommt Ruth W. gerade von der Einweihung des neuen Superintendenten, als ich sie für zwei Tage besuche. Ringelblumen schmücken die Gästewohnung, die wie ihre Dreizimmerwohnung in einem Seitentrakt der Klosteranlage liegt. Im Viertelstundentakt hört man das Schlagen der Kirchturmuhr. Ruth W. hat Kuchen gebacken. Von ihrem Balkon blicken wir in ihren großen, verwunschenen Garten, an der Außenwand hängen getrocknete Kräuter, mit kleinen Zetteln beschriftet. Wenige antike Möbel mit Gebrauchsspuren geben der Wohnung eine behagliche Atmosphäre. Nichts Überflüssiges stört den Grundton kultivierter Schlichtheit.
Mit zeitlich klaren Absprachen regulieren wir die intensive zweitägige Gesprächssituation, die Ruth W. spürbar anstrengt und auch mich mehr fordert als ich erwartet habe. Sie empfinde es als indiskret, Menschen nach Persönlichem zu fragen, äußert die Mitte-achtzigjährige Kapitularin wiederholt und lacht bei meiner Bemerkung, dass eben dies mein Anliegen sei. Hellwach, mit feinem Sprachgespür kommentiert Ruth W. mit leichter Ironie, wenn Formulierungen ihr schief oder floskelhaft erscheinen. Erfahrungen in Worte zu kleiden macht ihr überraschend Mühe. »Ich habe mein Leben nicht so reflektiert, sondern einfach doof durchlebt«, begründet sie einmal die für ihre Generation nicht untypische Scheu,
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