Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert
bin ich auch zu Hause.
Vor einem halben Jahr erfuhr meine Mutter, dass sie einen Knoten in der Brust hat. Ich war gerade mitten in den Klausurvorbereitungen, an manchen Tagen habe ich nur geweint. Als feststand, dass es Krebs ist, war es eigentlich leichter als vorher. Obwohl das Schlimme eingetreten ist, fand ich das Warten auf den Befund am quälendsten. Nun, mit der Gewissheit, kann man beginnen zu kämpfen, es ist kein Stillstand mehr. Natürlich habe ich Angst, aber ich spreche mit meiner Mutter nicht darüber, es soll jetzt primär um sie gehen und nicht um meine Gefühle. Auch mit Freundinnen, mit meinem Freund rede ich selten darüber. Ich bin sonst jemand, der viel erzählt, sich gern Rat holt, aber ich denke, dass ich andere überfordern würde. Meine Mutter meint oft, dass alles so kommt, wie es kommen soll. Ich glaube jedoch nicht an eine höhere Kraft, ich bin nicht religiös. Die Frage, ob es Gott gibt oder nicht, beschäftigt mich nicht. Ich bin Agnostikerin.
Was mich selbst betrifft, wünsche ich mir, dass ich endlich herausfinde, welches Studium zu mir passt. Ich würde zur Ruhe kommen, ausgeglichener sein, müsste nicht mehr drei Fächer parallel belegen. Später möchte ich einmal Kinder haben und einen Beruf, der mich erfüllt, also die klassischen Ziele. Und ich möchte mehr reisen, dadurch ändert sich die Einstellung zu vielem. Wahrscheinlich würden auch meine Glücksvorstellungen durch einen anderen Erfahrungshorizont beeinflusst werden.
Mein nächstes Projekt ist die Wohnungssuche. Am liebsten wäre mir eine größere WG in Kreuzberg, wo das Stadtbild viel gemischter und dadurch anregender ist als in Friedrichshain.
Amadeus Flößner: »Die Würde ist das A und O.«
Drei Stunden Arbeit haben Spuren hinterlassen. Doch trotz der Schweißperlen auf der Stirn füllt Amadeus Flößner noch weitere zwei Stunden die Sektgläser, ohne sich zwischendurch auch nur einmal hinzusetzen. Mit Frack, schwarzer Fliege, über dem Hemd eine weiße Weste, macht der Mann, der in kerzengerader Haltung für das leibliche Wohl der Gäste einer privaten Geburtstagsfeier sorgt, seinem Berufsstand alle Ehre. Ein Kellner mit jener formvollendeten Dienstbereitschaft, die man vor allem aus alten Filmen kennt. Und tatsächlich war der 57 -jährige Berliner schon mehrmals auf der Leinwand in der Rolle des Butlers oder Kellners zu sehen, zum ersten Mal in »Die Spaziergängerin von Sanssouci«; zuletzt spielte er den Butler des ostpreußischen Grafen v. Mahlenberg im Fernseh-Zweiteiler »Die Flucht«. Doch es sind vor allem seine 35 realen Dienstjahre, die mich neugierig auf einen Menschen machen, der in der gehobenen Berliner Gastronomie fast eine Institution ist. Sein Blick auf die »happy hours« seiner Branche interessiert mich ebenso wie die beruflich unabdingbare Fähigkeit, den Bedürfnissen anderer Vorrang einzuräumen und dabei als Person selbst völlig zurückzutreten. Vor allem möchte ich wissen: Was für eine Lebenshaltung steht hinter der hundertprozentigen Berufsidentifikation, die er von Kopf bis Fuß ausstrahlt?
Amadeus Flößer ist auf die Minute pünktlich, als er in meine Wohnung zum Interview kommt, dem noch ein zweites Gespräch folgt. Über Hemd, Weste, Fliege trägt er nun ein kleingemustertes Sakko im Saxion Check. Die Jakobsmuschel am Revers sei ein Souvenir der Pilgerwanderung mit seiner Frau, erzählt Amadeus Flößner und schaut prüfend auf das Etikett der Weinflasche auf dem Tisch. Während diese sich zügig leert, holt der eher kleine, fast schlanke Mann mit brünetten Haaren und braun-graumeliertem Oberlippenbart immer wieder zu Exkursen aus, die seine Beschäftigung mit marxistischer Dialektik und Entfremdungstheorie offenbaren.
Wie so häufig bedauere ich, dass manche persönliche Erinnerung das narrative Interview sprengen würde. Bildlich sehe ich die angereisten Tanten, Onkel, Kusinen, Vettern und den Trompete blasenden »Onkel Erwin« auf der Empore vor mir, als Amadeus Flößner von seiner kirchlichen Trauung vor 27 Jahren erzählt und den drei Hochzeitsfeiern an drei verschiedenen Orten, damit auch die Verwandten in der DDR mitfeiern konnten.
Großes Glück hatte ich im Leben drei Mal: Als meine Mutter und ich 1955 durch die Grenze in den Westen geschleust wurden, als ich in meinen Beruf hineinrutschte und als ich meine Frau kennenlernte. Ich denke, Glück ist nicht planbar. Man kann es beeinflussen, aber es ist wie beim Zocken: Ein Spieler, der immer höher rangeht, hat zum
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