Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert
die ins Gastgewerbe Geld stecken und mit ihrem letzten Taschentuch haften.
Ich denke wie meine Eltern: Glück kann man nicht beanspruchen, es passiert einem. Mit dem Kellnern habe ich parallel zum Studium begonnen. Ich legte von jeher Wert auf vernünftige Kleidung und gutes Leben, also ausgehen können und Bücher kaufen, und wollte flüssig sein. Da ich bis heute keinen Führerschein habe, fiel Taxifahren aus. Mitte der 70 er Jahre landete ich eines Abends im »Exil«, als ich nach einer Sitzung bei den Jungsozialisten, wo ich Funktionär war, am Paul-Lincke-Ufer entlangspazierte. Die umfangreiche Schnapsgalerie hinter der Theke beeindruckte mich sehr, es spielte eine Jazzplatte, die mein Vater auch besaß, hinter dem Tresen stand ein älterer Mann mit Hosenträgern, Dreitagebart und einer Havanna-Zigarre und zapfte Bier. Es war Oswald Wiener. Ich hatte von ihm »Die Verbesserung von Mitteleuropa« gelesen und war verblüfft, als er mich gleich duzte. Erst wurde ich Stammgast im »Exil« und dann aus wirtschaftlicher Not Kellner.
Zunächst habe ich es als Nebenerwerb betrachtet, bis ich mit 29 Jahren um die Hand meiner Frau anhielt und mir klarmachte, dass ich als Geologe kaum eine Stelle finden würde. Meine Frau war mit meinem Beruf zwar nicht völlig einverstanden, aber die Liebe war stärker. Meine Schwiegermutter sagt anderen immer noch nicht, dass ihr Schwiegersohn Kellner ist. Sie sagte, ich arbeite in der Gastronomie. Mir war die Meinung anderer immer egal. Ich war beruflich lange Autodidakt, meine Facharbeiterprüfung habe ich erst im zarten Alter von 50 Jahren gemacht, weil ich keinen Ehrgeiz hatte, einen Dienstrang zu erreichen. Wichtig war mir, dass ich genug verdiente und mich wohl fühlte. Aber ich möchte respektiert werden und habe meine eigenen Ansprüche an mich kontinuierlich hochgeschraubt.
Ich sage: »Ich bin Kellner.« Und nicht: »Ich arbeite als Kellner.« Es ist meine Profession und damit ein Hauptteil meines Lebens. Es ist ein Glück, zu sehen, wie man Leuten eine Freude machen kann, indem man ein wenig über die selbstverständliche Aufmerksamkeit hinausgeht. Die Rollen sind dabei klar verteilt: Ich bin nicht Gastgeber, als Kellner stehe ich zu Diensten. Meine Würde ziehe ich daraus, dass ich mich zurücknehme im Bewusstsein: Ich kann mein Handwerk und habe die entsprechenden Kenntnisse. Ich muss nicht darauf bestehen, im Zweifelsfall hat der Gast immer recht, ich habe das Wissen. Zu Kollegen sage ich oft: Wir verkaufen unsere Fähigkeiten und Fertigkeiten, vielleicht noch unseren Charme und keinen Jota mehr. Man muss von sich selber absehen, man muss dienen, ohne sich zu unterwerfen. Manche Kollegen kennen nicht den feinen Unterschied. Wenn ein Gast glaubt, dass er uns mit Haut und Haaren hat, desavouiert er sich selbst. Dabei ist es egal, ob jemand sturztrunken ist oder ob einer meint, er könne mit seinem Geldbeutel die Puppen tanzen lassen. Zu viel Trinkgeld kann auch entwürdigend sein.
Schlechtes Benehmen ist für mich Ungeduld. Wenn ein Gast den Kellner heranbefiehlt, ohne Rücksicht darauf, wie so ein Räderweg im Restaurant funktioniert. Dieser Typus, der die eingebaute Vorfahrt hat, nimmt zu. Solo sind es oft sehr umgängliche Menschen, aber in der Gruppe positionieren sie sich als Alpha-Männchen, nach dem Motto: Meine Frau, mein Haus, mein Auto, meine Yacht. Ich beobachte diesen herrischen Ton auch bei jüngeren Frauen, die Emanzipation und Selbständigkeit missverstanden haben. Menschen, die glauben, dass das Glück ausbricht, wenn sie alle Erfolgsklischees erfüllen. Solche Gäste kann man relativ leicht auflaufen lassen. Ich gucke sie lange an, so als habe ich sie nicht verstanden, ich sage: »Entschuldigen Sie bitte, was fehlt?« Man arbeitet etwas formeller und umständlicher, lässt sie ins Leere laufen. Unter Umständen spreche ich Gäste dann auch in der dritten Person an: »Welchen Wunsch haben der Herr? Was darf ich für die gnädige Frau tun?« Aggressiv machen mich Leute, die ans Buffet stürmen und sich besinnungslos den Teller vollpacken: Vorspeise, Hauptspeise, Dessert, alles durcheinander. Man redet heute zwar mehr über das Kochen, der Anspruch ist, dass es so chic angerichtet wird wie in den Kochsendungen, aber der Respekt vor dem Gericht ist weniger vorhanden. Wenn Gäste dann feststellen, das schmeckt nicht zusammen, lassen sie den Teller stehen und drücken vielleicht noch eine Zigarette darauf aus, damit der dienstbare Geist merkt, das ist zu
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