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Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert

Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert

Titel: Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina von Kleist
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entsorgen. Am liebsten sind mir neugierige Gäste, die Fragen stellen zur Speisekarte, zu Getränken, zu Gepflogenheiten. Im Mittagsgeschäft gibt es zeitlich immer Druck. Deshalb arbeite ich gern abends. Glücklich bin ich, wenn ein Abend richtig gut läuft: Alle sind zufrieden, der Umsatz ist gut, Empfehlungen fallen auf fruchtbaren Boden, Gäste machen Komplimente, die Küche klingelt nicht wild, weil die Zusammenarbeit mit Kollegen reibungslos klappt.
    Katastrophen passieren, wenn man keinen Arbeitsrhythmus findet, keinen Tritt fasst, wenn man mit allem zu spät ist. Unerlässlich für einen Kellner sind Zeitgefühl und Teamfähigkeit. Man muss eigentlich schon mit dem Hinterkopf sehen, was gerade dran ist. Aber es gibt diese verteufelten Tage, da passiert einem ein Fehler nach dem andern. Mein schlimmster Fauxpas: Silvester habe ich einmal einer Freundin einen Champagnerkorken aufs Auge geschossen. Und einmal war ich so betrunken, dass ich eine Abrechnung am Tisch nicht mehr zustande gebracht habe. Die Gäste sagten: »Sie sind so ein guter Kellner. Es ist ein Jammer, Sie so zu sehen.« Das ist 20 Jahre her, aber es fuchst mich bis heute. Mein Anspruch ist: Wenn ich etwas mache, will ich es richtig machen.
    Als ich für eine kurze Periode 1982 das »Exil« übernahm, war das leider von Anfang an eine Krisenzeit, weil ich mich mit dem Geschäftspartner vergriffen hatte. Ich habe versucht, das Ruder rumzureißen, und bin leider auch heftig in den Alkohol abgetaucht. Nach 14 Monaten warf ich das Handtuch. Das war eine Niederlage, gescheitert fühlte ich mich nicht, weil ja zumindest einer mitschuldig war. Für mich reichte das als Ausrede, um mir nicht gleich einzugestehen: Eigentlich hast du es richtig vergeigt, du hättest es ahnen müssen. Meine Frau war von Beginn an skeptisch gewesen, sie hat mich trotzdem machen lassen, und ich wollte ja auch ein bisschen für ihre Familie selbständiger Unternehmer werden. Natürlich ist es Anlass zur Selbstkritik, wenn man mit einem Projekt auf die Schnauze fällt, aber Fehler, Irrtümer sind ja nicht prinzipiell verwerflich, sondern dazu da, aus ihnen zu lernen. Meine kurze Selbständigkeit war in meinem Bekanntenkreis eigentlich kein Thema. Der Tenor war: »Na, ist schiefgegangen, das passiert. Und einigermaßen glatt rausgekommen?« Die meisten hatten die Einstellung: Neuer Versuch, neues Glück. Wie gut, dass er sich traut! Das Ganze hat meine Detailfreude wesentlich gesteigert.
    Generell gab es in unserem Beruf nach der Wende einen drastischen Einbruch. In der DDR wurden Kellner wesentlich besser technisch ausgebildet, sie hatten ein Training auf Weltniveau, während im Westen der Kellnerberuf vom Anrichten und Anfertigen zum reinen Transport verkommen ist. Zwar werden in der Prüfung noch englischer und französischer Service gefordert, das heißt, es wird eine Tafel für ein Fünf-Gänge-Menü eingedeckt, der guerridon, der Beistelltisch wird vorbereitet, als Arbeitsprobe wird ein Hasenrücken zerlegt, eine Forelle filetiert oder ein Dessert flambiert, aber es war für jeden Bankett-Oberkellner ein Lichtblick, mit Kollegen aus dem Osten zu arbeiten. Sie waren wie eine Militäreinheit gedrillt. Auch die ostdeutschen Gäste ließen sich damals viel bieten. Manche Leute legen ja mehr Wert auf das Ambiente als auf das, was auf dem Teller liegt. Das Niveau der Berliner Gastronomie sank, und die Löhne fielen mit. Ich kann mich materiell einschränken, doch es gibt eine Grenze, wo ich etwas aggressiver werde.
    Ich bin ein Gleichheitsfanatiker und seit Jahren ehrenamtlicher Gewerkschaftsfunktionär. Ob jemand in Geld schwimmt, interessiert mich nicht. Ich werde jedoch wütend, wenn sich Menschen an prekären sozialen Verhältnissen bereichern und Zimmermädchen mit einem Stundenlohn von vier Euro brutto abgespeist werden. Armut entwürdigt. Und Interessenvertretung heißt eben nicht, sich den Kopf des Gegners zu zerbrechen, sondern zu fordern: »Wir wollen das. Und wir müssen das auch wollen dürfen.« Wenn jemand einwendet: »Damit bringt ihr die Wirtschaft in Gefahr«, ist meine Antwort: »Wenn die Wirtschaft an vernünftigen Arbeitsbedingungen scheitert, dann taugt eben das ganze System nicht.« Die Frage, ob persönliches Glück gesellschaftliche Missstände aufwiegt, würde ich verneinen. Es liegt ja deshalb so vieles im Argen, weil Menschen die Haltung einnehmen: Lass die Welt da draußen treiben; wir schaffen uns unseren eigenen kleinen Kosmos. Ich finde den

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