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Der Weg zur Hölle

Der Weg zur Hölle

Titel: Der Weg zur Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaspar Dornfeld
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verschließbaren Plastiktüten, weißes Pulver, Gras, hellblaue Kristalle von Daumennagelgröße und Tabletten.
    »Wird schwer werden, das mit Eigenbedarf zu erklären«, sagte Bella Weilandt und nippte an ihrem Kaffee, der nicht gut war.
    »Der dealt«, stellte der Mann von der Spurensicherung überflüssigerweise fest.
    Das einzige, was in dieser Küche mit Essen und Trinken zu tun hatte, waren drei Kästen leerer Bierflaschen und — mal wieder — ein mannshoher Stapel Pizzakartons hinter der Tür.
    »Wer wohnt hier?«, fragte Reemund.
    »Ein Herr Kesselbacher«, sagte Wedelbeck. »Er ist nicht da. Mehr wissen wir noch nicht.«
    Auf dem Balkon schrie jemand aus Leibeskräften. Der Reaktion der Polizisten, oder besser ihrem Ausbleiben entnahm ich, dass das niemand außer mir hören konnte. Ich seufzte.
    Der Geist von Stephan Medchenwunder hatte sich endlich aus seinem Kopf herausgelöst und war herunter gefallen. Nicht tief, nur auf den Balkonboden.
    Bis jetzt war ich einer Frage ausgewichen, die sich nun jedoch mit Macht in mein Bewusstsein schob: Sollte ich Medchenwunders Geist einfach lassen, wo er war oder sollte ich mich seiner auf die gleiche Weise annehmen, wie ich es für Eduard Koss tat? Doch eigentlich war es gar keine offene Frage. Hatte ich erstmal mit Einem angefangen, gab es keinen plausiblen Grund dafür, dass mir der nächste gleichgültig sein sollte.
    Ich seufzte und schwebte langsam auf den Balkon hinaus, wo mich ein faszinierender Anblick erwartete. Normalerweise hätte Medchenwunders Restselbstbild dafür sorgen müssen, dass ihn der Betonboden des Balkons fest hielt, aber sein fortwährendes Zucken schüttelte ihn einfach durch die Moleküle hindurch, wie Mehl durch ein Sieb. Es mag herzlos erscheinen, aber so etwas hatte ich noch nie gesehen. Auch über dieses Phänomen gibt es bei uns merkwürdige Geschichten. Über Geister, die vor lauter Zittern während ihrer Frühtodphase im Erdboden versinken. Diese Erzählungen enden nur im besten Fall mit der Beseelung von Bäumen.
    Ich nahm mir etwas Zeit, bevor ich reagierte. Genauer: Ich wartete, bis Medchenwunder durch den Boden gesunken war und schreiend auf dem Balkon der darunter liegenden Etage aufschlug, bevor ich zu ihm schwebte, ihn aufhob und mich daran machte, ihm einen ruhigeren Platz zu suchen. Vielleicht würde ihm das gut tun. So wie Koss. Vielleicht würde das Zucken soweit nachlassen, dass er wenigstens oberhalb des Erdbodens bliebe. Aber wohin mit ihm?
    Ich flog einen Moment lang unentschlossen durch die Gegend, bis mir eine Idee kam. Ich brachte Medchenwunders Geist erst einmal an den einzigen Platz in der Nähe, von dem ich wusste, dass er frei von Sinnesreizen sein würde: in den Kofferraum des Dienstwagens des Polizeipräsidenten, den ich immernoch in der kleinen Seitenstraße geparkt vermutete. Zu recht.
    Da hockten wir, der Neutote und ich, die nächste halbe Stunde, während er weiter zuckte, und ich alle Konzentration darauf verwandte, ihn festzuhalten und gleichzeitig einen Schutzschild gegen seine Gedanken- und Gefühlswelt aufzustellen, was mir trotz der extremen Enge halbwegs gelang. Nach einiger Zeit wurde er ruhiger. Das Zucken ließ nach, bis es schließlich ganz aufhörte.
    Erleichtert schwebte ich aus dem Kofferraum und merkte, dass ich zitterte. Auch die stärkste Gedankenmauer ist bei so langem und intensivem Kontakt nicht völlig undurchlässig, und ich war mir sicher, dass ich noch tage- wenn nicht wochenlang von dem verstörenden Chaos verfolgt werden würde, das im Augenblick den Geist von Stephan Medchenwunder beherrschte.
    Hier draußen war es erstaunlich ruhig. Vielleicht, weil sich der größte Teil der Anwohner am Schauplatz des Verbrechens eingefunden hatte, um die Widerlichkeit nicht erst auf Youtube sehen zu dürfen.
    Der Polizeipräsident und sein angejahrter Fahrer schienen keine Lust zu haben, loszufahren. Beide rauchten. Der eine auf dem Rücksitz bei offenem Fenster, der andere draußen, an die Karosserie gelehnt. Ich fühlte mich ein wenig an Post-Apokalypse-Filme erinnert. Die Menschheit ausgerottet durch ein Virus, die Stadt leer gefegt, aber völlig intakt. Wie es in so einem Fall wohl im Totenreich aussehen würde?
    Mitten in die Stille hinein raste ein Auto, vollführte mit quietschenden Reifen eine Vollbremsung und knallte schließlich gegen den hohen Bordstein, nicht mehr als zwei Meter vom Wagen des Polizeipräsidenten entfernt. Kojuns Fahrer hatte sich fluchend und für sein Alter

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