Der Weg zur Hölle
zugeben, dass Ihre Theorie vom hypermoralisch mordenden Batman weitaus unglaubwürdiger ist, als ein pathetisch inszenierter Kampf zwischen Dealern.«
»Machen wir es doch so, Wedelbeck: Sie gehen dem Stoff nach und ich meinem Nachträcher. Einverstanden?«
Der junge Herr Nöhl trat zu den beiden.
»Der Körper weist ein Einschussloch auf. Das Opfer ist wahrscheinlich erschossen worden, bevor man ihm den Kopf abgesägt hat. Ich glaube, dass der Täter bei diesem Mord schlechter vorbereitet war.«
»Ach ja?« Reemund sah seinen jungen Kollegen interessiert an.
»Der Mieter der Wohnung sagt aus, dass er wie immer, wenn er aus dem Haus ging, den Hund in die Küche gesperrt hat. Da war er aber nicht mehr. Der Täter ist aus irgend einem Grund in die Küche gegangen, nur um sich einem ausgewachsenen Kampfhund gegenüber zu sehen. Vielleicht hat er es noch rechtzeitig aus der Wohnung geschafft, bevor das Vieh ihn packen konnte.«
»Der Hund hat doch bestimmt angefangen zu kläffen, als jemand Fremdes in die Wohnung gekommen ist?«, fragte Wedelbeck.
»Das muss nicht sein. Die Küche ist derart voll mit merkwürdigen Dämpfen, da musste das Tier nicht unbedingt etwas wittern. Außerdem hat uns Kesselbacher erzählt, dass der Hund fast taub war, wegen irgend einer Krankheit. Er reagierte wohl nur auf Dinge, die er sehen oder riechen konnte. Ich finde es erstaunlich, das der Täter bei dem ersten Mord fast alles über den Mann zu wissen schien, dem er die Tat anhängen wollte und beim zweiten Mord hat er nicht mal Ahnung von dem Hund.«
»Sehen Sie«, sagte Wedelbeck, nun wieder an seinen Chef gewandt. »Das würde doch passen. Serienmörder sind entweder impulsiv oder pedantisch. Nicht beides auf einmal. Wenn man davon ausgeht, dass die widerliche Vorgehensweise eine Nebelgranate ist, dann erklärt sich auch, warum er schon beim zweiten Mord schlampig wird. Sowas ist schwer durchzuhalten.«
»Aber vielleicht sucht er lediglich nach der richtigen Methode«, hielt Reemund dagegen.
»Oder vielleicht geht's hier doch um Drogen?«
»Schnauze, Wedelbeck!«
* * *
KAPITEL 9 - ANHÄNGLICHKEIT
ANHÄNGLICHKEIT: anhängl. Wesen, Treue, unwandelbares Zugetansein.
(Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 2001)
Ich hatte den Geist von Stephan Medchenwunder nach Marzahn geschleppt. Nun saß er in demselben Kellerverschlag wie Eduard Koss, der reglos wie eine Säule an dem kleinen zerbrochenen Fenster stand und hinaus starrte.
Als ich mir die beiden hilflosen Gespenster eine Weile ansah, überkamen mich Zweifel, ob das, was ich hier tat, gut war. Es war mir gelungen, eine neue Aufgabe für mich zu finden, aber ich wusste nicht, ob ich mich dazu beglückwünschen sollte oder die Neutoten. Ich wusste zwar, dass es nicht schön ist, keine Ahnung von der eigenen Vergangenheit zu haben, aber war das Gegenteil so viel besser? Und woher nahm ich mir das Recht, für andere zu entscheiden? Das Wissen um das Leben vor dem Tod konnte grausam sein.
Ich habe meinem Therapeuten irgendwann erzählt, ich würde die wenigen Geister beneiden, die sich, durch eine seltene Laune der Natur an ihre engsten Freunde und Verwandten erinnern können. Das müsse doch großartig sein. Erst sah er mich zornig an, dann flog er ohne ein Wort los, wobei er mich am Arm gepackt hielt und hinter sich herzog. Seither weiß ich, zu welchen Geschwindigkeiten Geister fähig sind, aber, ich gestehe es offen, so ein Tempo ist nicht gut für mich. Nach einer knappen Viertelstunde, die ich in erster Linie mit lautem Schreien verbracht hatte, landeten wir auf einer löchrigen Straße, an der ein einziges fünfstöckiges Haus in Plattenbauweise stand, das aussah, als könne es jeden Moment einstürzen. Außerdem stank es hier fürchterlich nach Kerosin.
Mein Therapeut breitete die Arme aus und grinste bösartig.
»Willkommen«, sagte er. »Willkommen in meiner Heimat.«
Ich brüllte immernoch. Schließlich hatte er mir irgendwann das Recht dazu eingeräumt, wann immer ich das zu brauchen glaubte. Das größte Problem an hysterischen Schreianfällen ist, dass sie irgendwann vorbei sind. Dann drängt sich die Realität unaufhaltsam zurück ins Bewusstsein, und obendrein ist man erschöpft.
»Falls es Sie interessiert«, sagte er, als mir die Puste ausgegangen war. »Wir sind ungefähr zehn Kilometer außerhalb der Todeszone von Tschernobyl.«
»Was zum Geier machen wir mitten in der verstrahlten Pampa?«, japste ich.
»Wir treiben Ihnen die Flausen aus.«
Langsam begann
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