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Der Weg zur Hölle

Der Weg zur Hölle

Titel: Der Weg zur Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaspar Dornfeld
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Stunde aus ihrem Blickfeld verschwunden ist. Aber was machen sie, anstatt zu trauern? Sie schlafen weiter, pinkeln auf die Couchbezüge und zerfetzen die Armlehnen. Unfähig, etwas anderes zu lernen, als sich Haare aus dem Fell zu lecken, sind sie immerhin mit dem fragwürdigen Glück gesegnet, andauernd jemand Neues kennenzulernen, der ihnen das Futter bringt, und ihn umgehend als gestorben abzubuchen, sobald er sich eine Schachtel Zigaretten holen geht. Und da behaupten Menschen, eine Katze als Haustier sei ein probates Mittel gegen Einsamkeit!
    Wenn eine Katze tot ist, wird ihre Vergesslichkeit nur schlimmer.
    Ich habe mal einen Geist gekannt, der den einer Katze als Haustier haben wollte. Zwei Wochen lang ging das gut, dann entdeckte das Tier am Himmel eine Schar Wildgänse, die sich in Richtung ihrer Brutstätten aufgemacht hatte. Die Katze begann zu schnattern, breitete ihre Vorderbeine aus und flog hinterher.
    Ohnehin ist es bei Tiergeistern so, dass sie selten hier bleiben. Die einen lösen sich sofort auf und gehen weiter. Wohin auch immer. Die anderen verschwinden spätestens nach ein paar Wochen. Nur ganz selten bleibt einer bei uns. Es gibt im Totenreich weitaus weniger Tiere als Menschen.
    Eines Tages erwähnte ich meine Katzenaversion gegenüber meinem Therapeuten. Dabei stellte ich die Vermutung auf, dass man sie nur wegen der Eleganz mag, die nach meinem Dafürhalten einem Tier solcher Dummheit völlig unangemessen sei. Er hörte schon ab dem Moment nicht mehr zu, als ich mit einigem Widerwillen das Wort Eleganz ausgesprochen hatte. Das schien ihm nämlich eine günstige Gelegenheit, Vermutungen über meinen Körperumfang während der Pubertät anzustellen. Ob ich denn gern Sport getrieben hätte, fragte er mich mit einem zutiefst unwürdigen Grinsen im Gesicht. Ein ungehobeltes Gespenst!
    Hunde kann ich übrigens auch nicht leiden.
    *
    Kojun hatte Reemund zum Tatort gebracht. Zumindest bis in die Nähe. Der Fahrer — der Polizeipräsident fuhr den Wagen nicht selbst — wurde gebeten, in einer kleinen Seitenstraße zu parken.
    Reemund stieg aus, drehte sich aber noch einmal zu seinem Freund um.
    »Du hättest mich einfach direkt am Tatort absetzen können.«
    »Ich hatte keine Lust auf Presseleute.«
    »Dann wärst du eben gleich wieder losgefahren.«
    Kojun rieb sich ein Auge.
    »Vielleicht will ich hier einfach ein bisschen sitzen und noch eine rauchen.«
    Reemund grinste.
    »Vielleicht willst du mitkommen und mal wieder echte Polizeiarbeit erleben?«
    Der Polizeipräsident winkte ab.
    »Hau ab, Kommissar! Mach deine Arbeit!«
    Reemund musste also zum Tatort, oder genauer, zum Leichenfundort laufen.
    Das Kottbusser Tor: ein neuralgischer Punkt für Berlin-Kreuzberg; voller Leben und potthässlich. Die Krönung bildet eine Art mehrstöckiger Plattenbau, der sich über eine Straße spannt.
    Wieder hatten sich jede Menge Schaulustiger mit Kameras und Mobiltelefonen versammelt, die die mit Satellitenschüsseln behängten Balkone hinaufstarrten. Ich folgte ihrem Blick, und es dauerte einen Moment, bis ich begriffen hatte, was ich da sah.
    Auf einem der Balkone sah die Satellitenschüssel anders aus. An dem Arm, der unter dem Teller hervorragte, befand sich nicht wie üblich das kleine Empfangsgerät. Statt dessen, oder vielmehr darauf gab es ein großes Etwas, dass verdächtig nach …
    Ich wollte wegrennen, am besten alles hinter mir lassen und nachschauen, ob es nicht vielleicht im pazifischen Raum ein kleines unbewohntes Inselchen für mich gab. Statt dessen nahm ich all meinen Mut zusammen und schwebte an der Fassade nach oben.
    Es war schlimmer, als ich es mir hätte vorstellen können. Auf dem Arm der Satellitenschüssel, festgeschnallt mit einem breiten Gürtel, steckte der Kopf eines Mannes, das Gesicht auf den Teller gerichtet. Die Augen waren weit aufgerissen, das Gesicht zu einer Fratze aus Angst und Schmerz verzerrt. Aber das war noch nicht einmal das Widerlichste. Für alle außer mir unsichtbar hing der Geisterkörper aus der makaberen Installation heraus; vom Hals abwärts baumelte er herum und wand sich in aberwitzigen Zuckungen. Außerdem war er nackt. Eine seltene Erscheinung, selbst unter frisch Gestorbenen. Aber nicht unbekannt. Meist passiert das denen die wissen, dass sie in wenigen Augenblicken sterben werden, und die dabei völlige Hilflosigkeit überkommt.
    Einen Moment lang vergaß ich, dass niemand außer mir den entblößten Körper sehen konnte, und ich warf mich schützend

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