Der Weg zurück
und fettig. Aber es muss dahinter noch eine Kameradschaft sein, von der wir jetzt noch nichts wissen.«
Ich möchte ihm gern etwas von dem sagen, was ich vorhin auf der Wiese empfunden habe. Aber ich kann es nicht recht in Worte fassen.
Wir sitzen schweigend nebeneinander. »Was willst du denn wirklich jetzt machen, Georg?«, frage ich nach einer Weile wieder.
Er lächelt nachdenklich. »Ich, Ernst? Ich bin nur durch ein Versehen nicht gefallen – das macht mich etwas lächerlich.«
Ich schiebe seine Hand weg und starre ihn an. Er beruhigt mich. »Zunächst werde ich mal ein bisschen wegfahren.« Er spielt mit seinem Spazierstock und blickt lange vor sich hin. »Erinnerst du dich noch, was Giesecke einmal sagte? In der Anstalt droben. Nach Fleury wollte er. – Zurück, weißt du. Er glaubte, dass es ihm helfen würde. –« Ich nicke. »Er ist immer noch da oben. Karl ist neulich bei ihm gewesen. –«
Leise beginnt es zu wehen. Wir blicken auf die Stadt und die lange Reihe der Pappeln, unter denen wir früher Zelte gebaut und Indianer gespielt haben. Georg war immer der Anführer, und ich habe ihn geliebt, wie nur Knaben lieben können, die nichts davon ahnen.
Unsere Augen begegnen sich. »Old Shatterhand«, sagt Georg leise und lächelt.
»Winnetou«, antworte ich ebenso leise.
II
Je näher der Tag der Verhandlung rückt, umso öfter denke ich an Albert. Und plötzlich, eines Tages, sehe ich klar und deutlich eine Lehmwand vor mir, eine Schießscharte, ein Gewehr mit Zielfernrohr und dahinter ein kalt lauerndes, gespanntes Gesicht: Bruno Mückenhaupt, den besten Scharfschützen des Bataillons, der nie vorbeitraf.
Ich springe auf – ich muss sehen, was er macht und wie er damit fertig geworden ist.
Ein hohes Haus mit vielen Wohnungen. Die Treppen triefen vor Nässe. Es ist Sonnabend, und überall stehen Eimer, Schrubber und Frauen mit aufgesteckten Röcken umher.
Eine schrillende Klingel, die viel zu laut für die Tür ist. Zögernd öffnet jemand. Ich frage nach Bruno. Die Frau lässt mich eintreten. Mückenhaupt sitzt in Hemdsärmeln auf dem Boden und spielt mit seiner Tochter, einem Mädchen von ungefähr fünf Jahren, strohblond, mit einer großen, blauen Schleife im Haar. Er hat ihr aus Silberpapier einen Fluss über den Teppich gelegt und Papierschiffchen darauf gesetzt. Einige davon haben Wattebäuschchen angesteckt, das sind die Dampfer, und kleine Zelluloidpuppen fahren darin mit. Bruno raucht behaglich eine mittellange Pfeife. Auf dem Porzellankopf ist das Bild eines kniend schießenden Soldaten zu sehen mit der Umschrift: üb Aug und Hand fürs Vaterland!
»Sieh, Ernst«, sagt Bruno, gibt dem Mädchen einen Klaps und lässt es allein weiterspielen. Wir gehen in die gute Stube. Sofa und Stühle sind aus rotem Plüsch, gehäkelte Schonerdeckchen liegen auf den Lehnen, und der Fußboden ist so glatt gebohnert, dass ich ausrutsche. Alles ist sauber und an seinem Platz; Muscheln, Nippsachen und Fotografien stehen auf der Kommode, und dazwischen, in der Mitte, auf rotem Samt, unter einem Glassturz, Brunos Orden.
Wir sprechen von den Zeiten damals. »Hast du deine Trefferliste noch?«, frage ich.
»Aber Mensch«, erwidert Bruno vorwurfsvoll, »die hat doch einen Ehrenplatz.«
Er holt sie aus der Kommode und blättert genießerisch darin herum. »Im Sommer war natürlich immer meine beste Zeit, weil man da abends so lange sehen konnte. Hier – warte mal – Juni – 18 . vier Kopfschüsse, 19 . drei, 20 . einer, 21 . zwei, 22 . einer, 23 . keiner, Fehlanzeige. Da hatten die Schweinehunde nämlich was gemerkt und waren vorsichtig geworden – aber hier, pass mal auf, 26 . da war die neue Ablösung gerade angekommen, die von Bruno noch keinen Dunst hatte, neun Kopfschüsse, was sagst du nun?«
Er strahlt mich an. »In zwei Stunden! Es war komisch, ich weiß nicht, ob es davon kam, dass ich sie vielleicht von unten, vom Kinn aus anblies, jedenfalls flogen sie nacheinander wie die Ziegenböcke bis zur Brust aus dem Graben hoch. – Und nun sieh mal hier –
29 . Juni 10 . 02 abends Kopfschuss, kein Witz, Ernst, du siehst, ich habe Zeugen gehabt, da steht es: Bestätigt, Vizefeldwebel Schlie.
Zehn Uhr abends, fast im Dunkeln, Leistung, was? Mann, was waren das für Zeiten!«
»Sag mal, Bruno«, frage ich, »die Leistung war ja großartig, aber jetzt – ich meine, tun dir die armen Kerle nicht manchmal ein bisschen leid?«
»Was?«, antwortet er verblüfft.
Ich wiederhole, was ich gesagt habe.
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