Der Weg zurück
gelben Sumpfdotterblumen, über denen Schmetterlinge und Libellen schweben. – Leiseste Bewegung – sanftestes Erzittern. – Ist es das letzte Schwanken vor dem Ende? Sind es die Mohnblüten und die Gräser? Ist es das Rieseln zwischen den Wurzeln der Bäume?
Aber die Bewegung verstärkt sich. Sie wird regelmäßiger, sie geht in Atem und Pulse über, Welle auf Welle kommt wieder und spült sich zurück – zurück aus Flüssen, Bäumen, Laub und Erde. – Das Kreisen beginnt erneut, aber es nimmt nicht fort, es bringt heran und bleibt, es wird Schauer. Empfindung, Fühlen, Hände, Körper – die Hüllen sind nicht mehr leer – lose, leicht und beschwingt spült die Erde meinen Körper wieder an – ich öffne die Augen.
Wo bin ich? Wo war ich? Habe ich geschlafen? Immer noch ist die rätselhafte Verbundenheit da, ich lausche und wage nicht, mich zu bewegen. Aber sie bleibt, und immer stärker wird das Glück und die Leichtigkeit, das Schwebende, Strahlende, ich liege auf der Wiese, die Schmetterlinge sind fort und ferner, der Sauerampfer wiegt sich, und das Sonnenkäferchen hat seine Spitze erreicht, die Marienfäden hängen auf meinen Kleidern, das Schwingende bleibt, es steigt mir in die Brust, in die Augen, ich bewege meine Hände, welches Glück! Ich hebe meine Knie, ich setze mich auf, mein Gesicht ist feucht – und dann erst fühle ich, dass ich weine, fassungslos weine, als wäre vieles vorbei. –
Eine Zeit lang ruhe ich mich aus. Dann stehe ich auf und nehme die Richtung zum Friedhof. Bisher bin ich noch nicht da gewesen. Seit Ludwigs Tod habe ich heute zum ersten Mal allein ausgehen dürfen.
Eine alte Frau kommt mit mir, um mir Ludwigs Grab zu zeigen. Es liegt hinter einer Buchenhecke und ist mit Immergrün bepflanzt. Die Erde ist noch locker und bildet einen Hügel, an dem einige verwelkte Kränze lehnen. Die Goldschrift der Schleifen ist verblichen, man kann sie nicht mehr lesen.
Ich habe mich etwas gefürchtet, hierher zu gehen. Aber diese Stille ist ohne Schrecken. Der Wind weht über die Gräber, golden steht der Septemberhimmel hinter den Kreuzen, und im Laub der Platanenallee singt eine Amsel.
Ach, Ludwig, zum ersten Male habe ich heute etwas wie Heimat und Frieden gespürt, und du bist nicht mehr dabei. Noch wage ich es nicht zu glauben, noch halte ich es für Schwäche und Müdigkeit – aber vielleicht wird es einmal zur Hingabe, vielleicht müssen wir nur warten und schweigen, und es kommt dann von selbst zu uns, vielleicht ist das Einzige, was uns nicht verlassen hat, wirklich nur unser Körper und die Erde, und vielleicht brauchen wir nichts anderes zu tun, als zu horchen und ihnen zu folgen.
Ach, Ludwig, da haben wir nun gesucht und gesucht, wir sind irre gegangen und gestürzt, wir haben Ziele gewollt und sind über uns selbst gestolpert, wir haben es nicht gefunden und du bist zusammengebrochen – und jetzt soll es ein Windhauch über Gräsern, ein Amselruf im Abend sein, der uns anrührt und uns schon heimführt? Kann denn eine Wolke am Horizont, ein Baum im Sommer mehr Gewalt haben als noch so vieles Wollen?
Ich weiß es nicht, Ludwig. Ich kann es noch nicht glauben, denn ich hatte schon keine Hoffnung mehr. Aber wir wissen ja auch nicht, was Hingabe ist, und kennen nicht ihre Kraft. Wir kennen nur die Gewalt.
Wenn es aber ein Weg wäre, Ludwig – was soll er mir schon – ohne dich –
Der Abend steigt langsam hinter den Bäumen empor. Er bringt die Unruhe und die Trauer wieder mit. Ich starre auf das Grab. Schritte knirschen auf dem Kies. Ich blicke auf. Es ist Georg Rahe. Er sieht mich besorgt an und redet mir zu, nach Hause zu gehen.
»Ich habe dich lange nicht gesehen, Georg«, sage ich, »wo warst du?«
Er macht eine unbestimmte Geste. »Ich habe eine Anzahl Berufe versucht –«
»Bist du denn kein Soldat mehr?«, frage ich.
»Nein«, antwortet er hart.
Zwei Frauen in Trauerkleidern kommen den Weg zwischen den Platanen entlang. Sie tragen kleine, grüne Wasserkannen in den Händen und beginnen, die Blumen eines alten Grabes zu begießen. Süß weht der Duft von Goldlack und Reseden herüber.
Rahe sieht auf. »Ich glaubte, einen Rest Kameradschaft da zu finden, Ernst. Aber es war nur noch ein verwildertes Zusammengehörigkeitsgefühl, eine gespenstische Karikatur des Krieges. Leute, die glaubten, wenn sie ein paar Dutzend Gewehre versteckten, könnten sie das Vaterland retten – brotlose Offiziere, die nichts anderes mit sich anzufangen wussten, als bei
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