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Der Weg zurück

Der Weg zurück

Titel: Der Weg zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E.M. Remarque
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Abends und der schwache Wind in den Gräsern – in seinen Ohren aber brüllt wieder die Schlacht, er sieht die Explosionen rasen, Leuchtschirme hängen wie riesige Bogenlampen über der Vernichtung, schwarz glühend kocht der Himmel, und die Erde spült sich in Fontänen und Schwefelkratern donnernd von Horizont zu Horizont.
    Rahe beißt die Zähne zusammen. Er ist kein Fantast, aber er kann sich nicht wehren: die Erinnerung überstürzt ihn wie ein Wirbelsturm, hier ist noch kein Frieden, nicht der Scheinfrieden der übrigen Welt, hier ist immer noch Kampf und Krieg, hier rast die Zerstörung geisterhaft weiter und ihre Strudel verlieren sich in den Wolken.
    Die Erde packt zu, sie greift nach ihm wie mit Händen, der gelbe, dicke Lehm klebt an den Schuhen und macht die Schritte schwer, als wollten die Toten mit dumpfen, murrenden Stimmen den überlebenden zu sich herabziehen.
    Er rennt über die schwarzen Trichterfelder. Der Wind wird stärker, die Wolken wandern, und manchmal gießt der Mond sein fahles Licht über die Landschaft. Jedes Mal hält Rahe dann mit gepresstem Herzen an, wirft sich hin und klebt bewegungslos am Boden. Er weiß, es ist nichts, aber beim nächsten Mal springt er wieder erschreckt in einen Trichter. Sehend und bewusst verfällt er dem Gesetz dieser Erde, über die man nicht aufrecht gehen kann.
    Der Mond ist ein riesiger Leuchtschirm geworden. Die Stümpfe des Wäldchens stehen schwarz vor dem blonden Licht. Hinter den Ruinen der Ferne zieht sich die Schlucht hin, durch die nie ein Angriff kam. Rahe hockt in einem Graben. Stücke eines Koppels liegen da, ein paar Kochgeschirre, ein Löffel, verdreckte Handgranaten, Patronentaschen, und daneben graugrünes, nasses Tuch, faserig, halb schon zu Lehm geworden, die Reste eines Soldaten.
    Er legt sich lang auf die Erde, das Gesicht am Boden – und das Schweigen beginnt zu reden. Ein dumpfes, ungeheures Brausen ist in der Erde, stoßweises Atmen, Dröhnen, und wieder Brausen, Klappern und Klirren. Er krallt die Finger hinein und presst den Kopf dagegen, er glaubt Stimmen zu vernehmen und Rufe, er möchte fragen, sprechen, schreien, er lauscht und wartet auf eine Antwort, eine Antwort auf sein Leben. –
    Aber nur der Wind wird stärker, die Wolken ziehen rascher und niedriger, und Schatten auf Schatten jagt über die Felder. Rahe richtet sich auf und geht weiter, ohne Richtung, lange Zeit, bis er vor den schwarzen Kreuzen steht, die hintereinander in langen Reihen ausgerichtet sind, wie eine Kompanie, ein Bataillon, ein Regiment, eine Armee.
    Und plötzlich weiß er alles. Vor diesen Kreuzen kracht das ganze Gebäude der großen Worte und Begriffe zusammen. Hier allein ist noch der Krieg, nicht mehr in den Gehirnen und den verschobenen Erinnerungen der Davongekommenen! Hier stehen die verlorenen Jahre, die nicht erfüllt worden sind, wie ein gespenstischer Nebel über den Gräbern, hier schreit das ungelebte Leben, das keine Ruhe findet, in dröhnendem Schweigen zum Himmel, hier strömt die Kraft und der Wille einer Jugend, die starb, bevor sie zu leben beginnen konnte, wie eine ungeheure Klage durch die Nacht.
    Schauer überlaufen ihn. Grell erkennt er mit einem Schlage seinen heroischen Irrtum, den leeren Rachen, in den die Treue, die Tapferkeit und das Leben einer Generation versunken sind. Es würgt und erschüttert ihn.
    »Kameraden!«, schreit er in den Wind und in die Nacht: »Kameraden! Wir sind verraten worden! Wir müssen noch einmal marschieren! Dagegen! – Dagegen – Kameraden!«
    Er steht vor den Kreuzen, der Mond bricht durch, er sieht sie glänzen, sie heben sich von der Erde mit ausgebreiteten Armen, nun dröhnt schon ihr Schritt, er steht vor ihnen und marschiert auf der Stelle, er reckt die Hand aufwärts: »Kameraden – marsch!« –
    Und greift in die Tasche und hebt wieder den Arm. – – Ein müder, einsamer Knall, der von den Stößen des Windes aufgefangen und weggeschleppt wird – dann taumelt er in die Knie, stützt die Arme auf und wendet sich mit einer letzten Anstrengung den Kreuzen zu – er sieht sie marschieren, sie stampfen und sind in Bewegung, sie marschieren langsam und ihr Weg ist weit, es wird lange dauern, aber es geht vorwärts, sie werden ankommen und ihre letzte Schlacht schlagen, die Schlacht für das Leben, sie marschieren schweigend, eine dunkle Armee, den weitesten Weg, den Weg in die Herzen, es wird viele Jahre dauern, aber was ist ihnen Zeit? Sie sind aufgebrochen, sie kommen.
    Der Kopf sinkt

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