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Der Weg zurück

Der Weg zurück

Titel: Der Weg zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E.M. Remarque
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kamen die meisten Bauchschüsse gar nicht erst mehr hin. Dafür bekam er dann das EK I und eine Belobigung vom Obersten. Könnt Ihr nun verstehen, weshalb dieser Mann gar nicht vor eure Paragrafen und eure Zivilgerichte gehört? Ihr habt ihn gar nicht zu richten! Er ist Soldat, er gehört zu uns, und wir sprechen ihn frei!«
    Jetzt aber kommt der Staatsanwalt endlich zu Wort. »Diese verhängnisvolle Verwilderung –«, keucht er und schreit dem Schupo zu, Willy festzunehmen.
    Erneuter Radau. Willy hält alles in Schach. Ich gehe wieder los. »Verwilderung? Durch wen denn? Durch euch! Ihr alle gehört vor unser Gericht! Ihr habt das mit eurem Krieg aus uns gemacht! Sperrt uns doch gleich mit ein, das ist das Beste! Was habt ihr denn für uns getan, als wir wiedergekommen sind? Nichts! Nichts! Ihr habt euch um die Siege gestritten, ihr habt Kriegerdenkmäler eingeweiht, ihr habt von Heldentum geredet und euch gedrückt vor der Verantwortung! Ihr hättet uns helfen müssen! Aber ihr habt uns alleingelassen in der schwersten Zeit, als wir uns zurückfinden mussten! Von allen Kanzeln hättet ihr es predigen müssen, immer wieder hättet ihr es uns sagen müssen: Wir haben alle furchtbar geirrt! Wir wollen gemeinsam zurückfinden! Habt Mut! Für euch ist es am schwersten, weil ihr nichts hinterlassen habt, das euch wieder aufnehmen könnte! Habt Geduld! Ihr hättet uns das Leben wieder zeigen müssen! Ihr hättet uns wieder leben lehren müssen! Aber ihr habt uns im Stich gelassen! Ihr habt uns vor die Hunde gehen lassen! Ihr hättet uns lehren müssen, wieder an Güte, Ordnung, Aufbau und Liebe zu glauben! Stattdessen habt ihr wieder angefangen, zu fälschen und zu hetzen und eure Paragrafen in Gang zu bringen. Einer von uns ist schon kaputt daran gegangen! Da steht der Zweite!«
    Wir sind außer uns. Alle Wut, alle Erbitterung, alle Enttäuschung kocht aus uns heraus. Ein wildes Durcheinander herrscht im Saale. Es dauert lange, bis einigermaßen Ruhe eintritt. Wir bekommen sämtlich einen Tag Haft wegen ungebührlichen Benehmens vor Gericht und müssen sofort raus. Wir könnten uns auch jetzt noch mit Leichtigkeit gegen den Schupo durchschlagen; aber wir wollen es nicht. Wir wollen mit Albert ins Gefängnis. Dicht gehen wir an ihm vorbei, um ihm zu zeigen, dass wir alle mit ihm sind. –
    Später hören wir, dass er zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden ist und die Strafe wortlos angenommen hat.
III
    Georg Rahe ist es gelungen, sich den Pass eines Ausländers zu besorgen und damit über die Grenze zu kommen. Ein Gedanke hat sich in ihm festgesetzt: Er will seiner Vergangenheit noch einmal Auge in Auge gegenüberstehen. Er fährt durch die Städte und Dörfer, er steht auf großen und kleinen Bahnhöfen herum, und abends ist er endlich da, wohin er will.
    Ohne sich aufzuhalten, wandert er durch die Straßen, zur Stadt hinaus, den Höhen zu. Heimkehrende Arbeiter kommen ihm entgegen. Kinder spielen in den Lichtpfützen der Laternen. Ein paar Autos schnaufen vorüber. Dann wird es still.
    Das Licht der Dämmerung ist noch hell genug, um sehen zu können. Außerdem sind Rahes Augen an Dunkelheit gewöhnt. Er verlässt den Weg und geht querfeldein. Nach einiger Zeit stolpert er. Rostiger Draht hakt in seiner Hose und hat einen Winkel hineingerissen. Er bückt sich, um ihn loszumachen. Es ist der Stacheldraht eines Verhaus, der sich an einem zerschossenen Graben entlangzieht. Rahe richtet sich auf. Die kahlen Felder der Schlacht liegen vor ihm.
    In der ungewissen Dämmerung sind sie ein aufgewühltes und erstarrtes Meer, ein versteinerter Sturm. Rahe spürt den fahlen Dunst von Blut, Pulver und Erde, den wilden Geruch des Todes, der immer noch in dieser Landschaft ist und Gewalt hat.
    Unwillkürlich zieht er den Kopf ein, die Schultern schieben sich hoch, die Arme hängen lose nach vorn, die Hände sind fallbereit in den Gelenken – das ist nicht mehr der Gang aus den Städten – das ist wieder das geduckte, vorsichtige Schleichen des Tieres, das lauernde Sichern des Soldaten. –
    Er bleibt stehen und beobachtet das Gelände. Vor einer Stunde noch war es ihm fremd, aber jetzt kennt er es wieder, jede Höhe, jede Bodenfalte, jedes Tal. Er ist nie fort gewesen, die Monate schrumpfen im Aufflackern der Erinnerung zusammen wie Papier, sie verbrennen und verfliegen wie Rauch. – Hier schleicht wieder der Leutnant Georg Rahe abends auf Patrouille, und nichts ist sonst gewesen dazwischen. Um ihn ist nur das Schweigen des

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