Der Weg zurück
ihm herunter, es wird dunkel um ihn, er fällt vornüber, er marschiert mit dem Zuge. Wie ein spät Heimgefundener liegt er an der Erde, die Arme ausgebreitet, die Augen schon stumpf, ein Knie angezogen. Der Körper zuckt noch einmal, dann ist alles Schlaf geworden, und nur der Wind allein ist noch da über der öden, dunklen Weite, er weht und weht, über die Wolken und den Himmel, die Felder und die endlosen Ebenen mit den Gräben und Trichtern und Kreuzen.
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Ausgang
I
Die Erde riecht nach März und Veilchen. Primeln kommen unter dem feuchten Laub hervor. Violett schimmern die Furchen der Äcker.
Wir gehen einen Waldweg entlang. Willy und Kosole voran, Valentin und ich hinterher. Zum ersten Male seit langer Zeit sind wir wieder zusammen. Wir sehen uns nur noch selten.
Karl hat uns sein neues Auto den Tag über zur Verfügung gestellt. Aber er selbst ist nicht mitgekommen, er hat zu wenig Zeit. Seit einigen Monaten verdient er sehr viel Geld, denn die Mark fällt, und das begünstigt seine Geschäfte. Sein Chauffeur hat uns herausgefahren. »Was machst du eigentlich, Valentin?«, frage ich.
»Ich reise auf den Jahrmärkten herum«, antwortet er, »mit einer Schiffschaukel.«
Ich sehe ihn erstaunt an. »Seit wann denn?«
»Schon eine ganze Zeit. Meine Partnerin damals hat mich bald im Stich gelassen. Sie tanzt jetzt in einer Bar. Foxtrotts und Tangos. Das wird heute mehr verlangt. Na, und dazu ist ein alter Kommissknüppel wie ich nicht fein genug.«
»Bringt die Schiffschaukel denn was ein?«, frage ich.
Er winkt ab. »Hör auf! Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel! Und dies ewige Herumziehen! Morgen geht’s schon wieder auf die Walze. Nach Krefeld. Schön auf den Hund gekommen ist man, Ernst! Wo steckt Jupp eigentlich?«
Ich zucke die Achseln. »Fortgezogen. Ebenso wie Adolf. Haben nie wieder was von sich hören lassen.«
»Und Arthur?«
»Der ist bald Millionär«, erwidere ich.
»Der versteht’s«, nickt Valentin trübselig.
Kosole bleibt stehen und dehnt die Arme. »Kinder, Spazierengehen ist ja ganz schön – wenn man bloß nicht arbeitslos dabei wäre.«
»Glaubst du nicht, dass du bald wieder was kriegst?«, fragt Willy. Ferdinand schüttelt zweifelnd den Kopf. »Leicht wird’s nicht sein. Ich stehe auf der schwarzen Liste. Bin nicht zahm genug. Na, wenigstens gesund ist man. Und vorläufig pumpe ich bei Tjaden. Der sitzt ja gut im Fett.«
An einer Lichtung machen wir halt. Willy holt eine Schachtel Zigaretten heraus, die Karl ihm mitgegeben hat. Valentins Gesicht heitert sich auf. Wir setzen uns hin und rauchen.
Die Kronen der Bäume knarren leise. Ein paar Meisen zwitschern. Die Sonne ist schon stark und warm. Willy gähnt herzhaft und legt sich dann auf seinen Mantel lang. Kosole macht sich aus Moos eine Art Kopfstütze zurecht und legt sich dann ebenfalls hin. Valentin sitzt nachdenklich am Stamm einer Buche.
Ich sehe die vertrauten Gesichter an, und einen Augenblick schwankt alles wunderlich – da hocken wir wieder beieinander, wie so oft früher – wenige nur noch – aber sind selbst wir noch wirklich beieinander?
Kosole horcht plötzlich auf. Aus der Ferne kommen Stimmen. Junge Stimmen. Es werden Wandervögel sein, die an diesem silbern verhangenen Tag mit Lauten und Bändern ihre erste Wanderung machen. Vor dem Kriege haben wir das ja auch getan – Ludwig Breyer, Georg Rahe und ich.
Ich lehne mich zurück und denke an die Zeit damals; an die Abende am Lagerfeuer, an die Volkslieder, die Gitarren und die feierlichen Nächte vor dem Zelt. Das war unsere Jugend. In diesen Jahren vor dem Kriege lebte in der Romantik des Wandervogels die Begeisterung für eine neue, freie Zukunft, die dann in den Schützengräben noch eine Zeit lang loderte und 1917 im Grauen der Materialschlachten zusammenbrach.
Die Stimmen kommen näher. Ich stütze mich auf die Arme und hebe den Kopf, um den Zug vorüberwandern zu sehen. Sonderbar – vor ein paar Jahren gehörten wir noch dazu, und jetzt erscheint es, als wäre das schon eine ganz neue Generation, eine Generation nach uns, die wieder aufnehmen kann, was wir fallen lassen mussten. –
Rufe ertönen. Ein ganzer Schwall, fast wie ein Chor. Dann nur noch eine einzelne Stimme, und noch nicht zu verstehen. Zweige brechen, und der Boden hallt dumpf von vielen Tritten. Wieder ein Ruf. Wieder Tritte, Brechen, Schweigen. Dann klar und deutlich ein Befehl: »Von rechts anreitende Kavallerie – mit Gruppen rechts schwenkt – marsch, marsch
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