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Der Weg zurück

Der Weg zurück

Titel: Der Weg zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E.M. Remarque
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transportiert werden können. Wir müssen uns trennen.
    Der weite, graue Hof ist viel zu groß für uns. Ein fahler Novemberwind, der nach Aufbruch und Sterben riecht, fegt darüber hin. Wir stehen zwischen Kantine und Wache, mehr Platz brauchen wir nicht. Die große, leere Fläche um uns herum weckt trostlose Erinnerungen. Da stehen unsichtbar, viele Reihen tief, die Toten.
    Heel geht die Kompanie entlang. Aber mit ihm geht lautlos der gespenstische Zug seiner Vorgänger. Als Nächster, noch blutend aus dem Halse, mit abgerissenem Kinn und traurigen Augen, Bertinck, eineinhalb Jahre Kompanieführer, Lehrer, verheiratet, vier Kinder – neben ihm mit schwarzgrünem Gesicht Möller, neunzehn Jahre alt, gasvergiftet, drei Tage, nachdem er die Kompanie übernahm – als Nächster Redecker, Forstassessor, zwei Wochen später durch einen Volltreffer in die Erde gestampft – dann schon blasser, ferner, Büttner, Hauptmann, beim Angriff gefallen durch MG – Schuss ins Herz – und wie Schatten dahinter, fast schon ohne Namen, so weit zurück, die andern – sieben Kompanieführer in zwei Jahren. Und mehr als fünfhundert Mann. Zweiunddreißig stehen auf dem Kasernenhof.
    Heel versucht, ein paar Worte zum Abschied zu sagen. Aber es wird nichts; er muss aufhören. Keine Worte der Welt könnten sich behaupten gegen diesen einsamen, leeren Kasernenhof mit den wenigen Reihen der übriggebliebenen, die stumm und frierend in ihren Mänteln und ihren Stiefeln dastehen und an ihre Kameraden denken.
    Heel geht von einem zum andern und gibt jedem die Hand. Als er zu Max Weil kommt, sagt er mit schmalen Lippen: »Nun beginnt Ihre Zeit, Weil. –«
    »Sie wird weniger blutig sein«, antwortet Max ruhig.
    »Und weniger heroisch«, gibt Heel zurück.
    »Das ist nicht das Letzte im Leben«, sagt Weil.
    »Aber das Beste«, erwidert Heel. »Was sonst?«
    Weil zögert einen Augenblick. Dann sagt er: »Etwas, das heute schlecht klingt, Herr Oberleutnant: Güte und Liebe. Auch da gibt es einen Heroismus.«
    »Nein«, antwortet Heel rasch, als hätte er schon lange darüber nachgedacht, und seine Stirn zuckt, »da gibt es nur Märtyrertum, das ist etwas ganz anderes. Heroismus beginnt da, wo die Vernunft streikt: bei der Geringschätzung des Lebens. Er hat mit Sinnlosigkeit, mit Rausch, mit Riskieren zu tun, damit Sie es wissen. Aber nur wenig mit Zweck. Zweck, das ist Ihre Welt. Warum, wozu, weshalb – wer so fragt, weiß nichts davon. –«
    Er spricht so heftig, als wollte er sich selbst überzeugen. Sein eingefallenes Gesicht arbeitet. Er ist in ein paar Tagen verbittert und um Jahre älter geworden. Aber ebenso rasch hat sich Weil verändert. Er war stets ein unauffälliger Mensch, aus dem allerdings niemand recht klug werden konnte. Jetzt ist er plötzlich hervorgetreten und wird immer bestimmter. Keiner hätte vermutet, dass er so reden kann. Je nervöser Heel wird, desto ruhiger ist Max. Leise und fest sagt er: »Für den Heroismus von wenigen ist das Elend von Millionen zu teuer.«
    Heel zuckt die Achseln. »Zu teuer – Zweck – bezahlen – das sind so Ihre Worte. Wollen sehen, wie weit Sie damit kommen.«
    Weil sieht den Mannschaftsrock an, den Heel noch immer trägt. »Wie weit sind Sie mit den Ihrigen gekommen?«
    Heel errötet. »Zu einer Erinnerung«, sagt er hart, »wenigstens zu einer Erinnerung an Dinge, die sich nicht für Geld kaufen lassen.«
    Weil schweigt eine Zeit lang. »Zu einer Erinnerung –«, wiederholt er dann und sieht über den leeren Kasernenhof und unsere kurzen Reihen hin, »ja – und zu einer furchtbaren Verantwortung –«
    Wir verstehen von alledem nicht viel. Wir frieren und halten es für unnötig, zu reden. Durch Reden wird die Welt doch nicht anders.
    Die Reihen lockern sich. Das Verabschieden beginnt. Mein Nebenmann Müller schiebt sich den Tornister auf den Schultern zurecht und klemmt sein Paket mit Lebensmitteln unter den Arm. Dann hält er mir die Hand hin: »Also, mach’s gut, Ernst –«
    »Mach’s gut, Felix –« Er geht weiter, zu Willy, zu Albert, zu Kosole. –
    Gerhard Pohl kommt, der Kompaniesänger, der beim Marschieren immer den obersten Tenor sang, wenn die Melodie in großem Bogen anstieg. Die ganze übrige Zeit ruhte er sich aus, um ordentlich Kraft in die zweistimmigen Stellen legen zu können. Sein braunes Gesicht mit der Warze ist bewegt; er hat sich gerade von Karl Bröger verabschiedet, mit dem er unzählige Skatpartien gemacht hat. Das ist ihm schwer

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