Der Weg zurück
geworden.
»Wiedersehen, Ernst –«
»Wiedersehen, Gerhard –« Er geht.
Weddekampf gibt mir die Hand. Er tischlerte die Kreuze für die Gefallenen. »Schade, Ernst«, sagt er, »habe dir nun leider keins mehr verpassen können. Du hättest sogar eins aus Mahagoni gekriegt. Hatte schon einen schönen Klavierdeckel dafür in Reserve.«
»Was nicht ist, kann noch werden«, erwidere ich, »wenn’s so weit ist, schreibe ich dir eine Postkarte.«
Er lacht. »Halt die Ohren steif, Junge, der Krieg ist noch nicht zu Ende.«
Dann trottet er ab mit seiner schiefen Schulter.
Die erste Gruppe verschwindet schon hinter dem Kasernentor. Scheffler, Fassbender, der kleine Lucke und August Beckmann sind dabei. Andere folgen. Wir werden aufgeregt. Man muss sich erst daran gewöhnen, dass sie für immer gehen. Bislang gab es nur Tod, Verwundung oder Abkommandierung, damit jemand die Kompanie verließ. Jetzt kommt noch dazu: Frieden.
Sonderbar ist das: Wir sind die Trichter und die Gräben so sehr gewohnt, dass wir plötzlich misstrauisch werden gegen die Stille der Landschaft, in die wir jetzt hineinkommen – als wäre die Stille nur ein Vorwand, um uns in heimlich unterminiertes Gebiet zu locken. –
Und nun laufen die da hinein, unsere Kameraden, unvorsichtig, allein, ohne Gewehre, ohne Handgranaten. Man möchte hinterherrennen, sie wieder holen und ihnen zurufen: Wo wollt ihr denn nur hin, was wollt ihr so allein da draußen, ihr gehört doch hierher, zu uns, wir müssen doch zusammenbleiben, wie können wir anders leben sonst. –
Seltsames Mühlrad im Schädel: zu lange Soldat gewesen. – Der Novemberwind pfeift über den leeren Kasernenhof. Immer mehr Kameraden gehen. Wie lange noch, und jeder ist wieder allein.
Der Rest unserer Kompanie hat den gleichen Weg nach Hause. Wir lagern in der Bahnhofhalle, um einen Zug zu erwischen. Die Halle ist ein Heerlager von Kisten, Kartons, Tornistern und Zeltbahnen.
In sieben Stunden fahren zwei Züge durch. Wie Trauben hängen Schwärme von Menschen an den Türen. Nachmittags erobern wir einen Platz nahe den Schienen. Abends sind wir ganz vorn in der besten Position. Wir schlafen im Stehen.
Der erste Zug kommt am nächsten Mittag. Es ist ein Güterzug mit blinden Pferden. Ihre verdrehten Augäpfel sind weißblau und rot unterlaufen. Sie stehen ganz still, die Köpfe sind vorgestreckt, und nur in den witternden Nüstern ist Leben.
Nachmittags wird bekannt gemacht, dass heute kein Zug mehr fahren soll. Kein Mensch geht. Ein Soldat glaubt nicht an Bekanntmachungen. Und wirklich kommt noch einer. Der erste Blick zeigt, dass er richtig ist. Halb voll höchstens.
Die Halle erdröhnt unter dem Fertigmachen der Brocken und dem gewaltigen Ansturm der Kolonnen, die aus den Wartesälen hervorbrechen. Sie geraten in einen wilden Knäuel mit denen, die in der Halle warten.
Der Zug gleitet vorbei. Ein Fenster ist offen. Albert Troßke, der Leichteste von uns, wird hochgeworfen und klettert wie ein Affe hinein. Im nächsten Augenblick hängen die Türen voller Leute. Die meisten Fenster sind geschlossen. Schon splittern einige unter den Kolbenschlägen derjenigen, die auf jeden Fall, auch mit zerrissenen Händen und Beinen, mitwollen. Decken fliegen über die Scherbensplitter, und das Entern beginnt bereits an einigen Stellen.
Der Zug hält. Albert ist durch die Gänge gerannt und reißt das Fenster vor uns herunter. Tjaden und der Hund fliegen als Erste hinein, Bethke und Kosole unter Willys Nachhilfe hinterher. Die drei stürmen sofort auf die Gangtüren los, um das Abteil nach beiden Seiten zu blockieren. Die Brocken folgen mit Ludwig und Ledderhose gleichzeitig, dann Valentin, ich und Karl Bröger, und als Letzter, nachdem er sich draußen noch einmal gründlich Luft gemacht hat, Willy.
»Alles drin?«, schreit Kosole vom Gang her, wo gewaltiger Druck herrscht. »Drin!«, brüllt Willy. Wie aus der Pistole geschossen weichen Bethke, Kosole und Tjaden zurück auf die Plätze, und der Strom der andern ergießt sich über die Abteile, erklettert die Gepäcknetze und füllt jeden Zentimeter aus.
Die Lokomotive wird gestürmt. Auf den Puffern sitzen schon Leute. Die Dächer der Wagen sind voll besetzt. Der Zugführer schreit: »Runter, ihr stoßt euch die Schädel ein!« »Halt’s Maul, wir passen schon auf!«, schallt es zurück. Im Lokus sitzen fünf Mann. Einer hängt mit dem Hintern weit aus dem Fenster.
Der Zug zieht an. Einige Leute, die schlecht gefasst haben, fallen ab.
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