Der Weg zurück
zum Abschied ein Päckchen Zigarren geschenkt. Ich muss jetzt eine davon rauchen. Alles ist so lose um mich herum, als wäre mir etwas schwindlig. Ich ziehe den Rauch tief in die Lungen und fühle, dass es schon besser wird.
»Zigarren rauchst du?«, fragt mein Vater überrascht und beinahe vorwurfsvoll.
Verwundert sehe ich ihn an. »Natürlich«, erwidere ich, »die gehörten doch zur Verpflegung draußen. Jeden Tag standen uns drei oder vier zu. Willst du auch eine haben?«
Kopfschüttelnd nimmt er sie. »Früher hast du überhaupt nicht geraucht.«
»Ja, früher –«, sage ich und muss ein bisschen über ihn lächeln, weil er so viel Wesen davon macht. Früher hätte ich allerdings auch das nicht getan. Aber die Scheu vor älteren Leuten hat sich im Schützengraben verloren. Da waren wir alle gleich.
Verstohlen sehe ich nach der Uhr. Ein paar Stunden bin ich erst hier, aber mir ist, als wären es ein paar Wochen, seit ich Willy und Ludwig nicht mehr gesehen habe. Am liebsten möchte ich rasch einmal zu ihnen laufen; denn noch kann ich mir nicht vorstellen, dass ich jetzt für immer in der Familie bleiben soll, noch habe ich das Gefühl, dass wir morgen, übermorgen, irgendwann wieder marschieren werden, Schulter an Schulter, fluchend, ergeben, aber dicht zusammen. –
Schließlich stehe ich auf und hole meinen Mantel vom Korridor.
»Willst du heute Abend nicht bei uns bleiben?«, fragt meine Mutter.
»Ich muss mich noch melden«, sage ich, denn das andere würde sie doch nicht verstehen.
Sie geht mit mir bis zur Treppe. »Warte«, sagt sie, »es ist ja dunkel, ich bringe ein Licht. –«
überrascht bleibe ich stehen. Ein Licht? Für die paar Treppenstufen? Herrgott, durch wie viel verschlammte Trichter, über wie viel zerwühlte Anmarschwege habe ich mich jahrelang ohne Licht in schwerem Feuer nachts zurechtfinden müssen – und jetzt ein Licht für eine Treppe? Ach Mutter! – Aber ich warte geduldig, bis sie mit der Lampe kommt und mir leuchtet, und es ist, als streichelte sie mich im Dunkel.
»Sei vorsichtig, Ernst, dass dir draußen nichts geschieht«, ruft sie mir nach.
»Was soll mir denn geschehen, hier in der Heimat, hier im Frieden, Mutter?«, sage ich lächelnd und blicke zu ihr hinauf.
Sie beugt sich über das Geländer. Ihr kleines, zerfurchtes Gesicht ist golden beschattet vom Lampenschirm. Unwirklich wehen die Schatten und Lichter hinter ihr über den Flur. Und plötzlich schwankt etwas in mir, eine seltsame Rührung packt mich, fast wie ein Schmerz – als gäbe es nichts auf der Welt als dieses Gesicht, als wäre ich wieder ein Kind, dem man auf der Treppe leuchten muss, ein Junge, dem auf der Straße etwas geschehen kann, und alles andere dazwischen nur Spuk und Traum. –
Aber das Licht der Lampe fängt sich zu einem scharfen Reflex in meinem Koppelschloss. Die Sekunde verfliegt, ich bin kein Kind, ich trage eine Uniform. Rasch springe ich die Treppe hinunter, immer drei Stufen auf einmal, und stoße die Haustür auf, begierig, zu meinen Kameraden zu kommen.
Zuerst besuche ich Albert Troßke. Seine Mutter hat verweinte Augen, doch das gehört heute ja dazu und ist nicht weiter schlimm. Aber Albert ist auch nicht der Alte, er hockt wie ein nasser Pudel am Tisch. Neben ihm sitzt sein älterer Bruder. Ich habe ihn lange nicht gesehen und weiß nur, dass er im Lazarett gelegen hat. Er ist dick geworden und hat schöne rote Backen.
»Tag, Hans, wieder gesund«, sage ich lustig, »wie geht’s, wie steht’s? Auf zwei Beinen immer noch am besten, was?«
Er murmelt etwas Unverständliches. Frau Troßke schluckt auf und geht hinaus. Albert macht mir ein Zeichen mit den Augen. Verständnislos blicke ich mich um. Dann sehe ich, dass Hans neben seinem Stuhl Krücken liegen hat. »Noch immer nicht in Ordnung?«, frage ich. »Doch«, antwortet er, »vorige Woche aus dem Lazarett entlassen.« Er greift nach den Krücken, stützt sich auf und schwingt sich mit zwei Sätzen zum Ofen. Beide Füße fehlen ihm. Rechts hat er eine eiserne Prothese, links schon ein Gestell mit einem Schuh daran.
Ich schäme mich über meine dumme Redensart. »Hab’s nicht gewusst, Hans«, sage ich.
Er nickt. Die Füße sind ihm in den Karpaten erfroren, dann ist Brand hinzugekommen, und schließlich hat man sie abnehmen müssen.
»Gott sei Dank, nur die Füße!« Frau Troßke hat ein Kissen geholt und schiebt es unter die Prothesen. »Lass nur, Hans, wir werden es schon machen, du wirst schon wieder laufen
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