Der Weg zurück
lernen.« Sie setzt sich neben ihn und streichelt seine Hände.
»Ja«, sage ich, um etwas zu sagen, »die Beine hast du wenigstens noch.«
»Mir reicht es auch so«, antwortet er.
Ich gebe ihm eine Zigarette. Was soll man machen in solchen Augenblicken – alles ist roh, wenn man es auch noch so gut meint. Wir sprechen zwar etwas, mühsam und stockend, aber wenn einer von uns aufsteht, Albert oder ich, und hin und her geht, merken wir, wie Hans uns auf die Füße schaut, mit einem dunklen, gequälten Blick, und wie die Augen seiner Mutter denselben Weg suchen – immer nur auf die Füße – hin und her – ihr habt Füße – ich habe keine. –
Er kann wohl vorläufig nichts anderes denken – und seine Mutter kümmert sich nur um ihn. Sie sieht nicht, dass Albert darunter leidet. Er ist ganz scheu geworden in den paar Stunden. »Du, wir müssen uns noch melden«, sage ich zu ihm, um einen Grund anzugeben, damit er fortgehen kann.
»Ja«, sagt er rasch.
Draußen atmen wir auf. Der Abend spiegelt sich weich auf dem nassen Pflaster. Laternen flackern im Wind. Albert sieht starr geradeaus. »Ich kann doch nichts daran ändern, Ernst«, beginnt er stockend, »aber wenn ich so dazwischen sitze und ihn sehe und seine Mutter, dann meine ich zuletzt, ich sei schuld, und ich schäme mich, weil ich noch zwei Füße habe. Ganz gemein kommt man sich vor, weil man so heil ist. Wenn man wenigstens noch einen Armschuss hätte, wie Ludwig, dann stände man doch nicht ganz so aufreizend da. –«
Ich versuche, ihn zu trösten. Doch er blickt zur Seite. Es überzeugt ihn nicht, was ich auch sage – aber mich erleichtert es wenigstens. So ist es ja immer mit Trost.
Wir gehen zu Willy. In seinem Zimmer sieht es wüst aus. Das Bett steht zerlegt an der Wand. Es muss größer gemacht werden, denn Willy ist beim Militär so gewachsen, dass er nicht mehr hineinpasst. Bretter, Hämmer und Sägen liegen umher. Auf einem Stuhl glänzt eine gewaltige Schüssel Kartoffelsalat. Er selbst ist nicht da. Seine Mutter erzählt, dass er seit einer Stunde in der Waschküche sei, um sich sauber zu schrubben. Wir warten.
Frau Homeyer kniet vor Willys Tornister und kramt darin. Kopfschüttelnd holt sie einige dreckige Fetzen heraus, die früher einmal ein Paar Strümpfe gewesen sind. »Lauter Löcher«, murmelt sie und sieht Albert und mich missbilligend an.
»Kriegsware«, sage ich und zucke die Achseln.
»So, Kriegsware?«, erwidert sie ärgerlich, »was ihr nicht alles wisst! Beste Wolle war das! Acht Tage bin ich rumgelaufen, bis ich sie gekriegt habe. Und jetzt sind sie schon hin. Aber neue gibt’s nirgendwo.« Bekümmert sieht sie die Reste an. »So viel Zeit habt ihr im Krieg doch sicher jede Woche mal gehabt, um schnell ein Paar reine Strümpfe anzuziehen. Vier Paar hat er das letzte Mal mitgenommen. Nur zwei hat er wieder mitgebracht. Und die noch so!« Sie fährt mit der Hand durch die Löcher.
Ich will Willy gerade in Schutz nehmen, da kommt er selbst triumphierend mit gewaltigem Gebrüll hereingestürmt. »Das nennt die Welt Schwein haben! Ein Kochgeschirraspirant! Heute Abend gibt es noch Hühnerfrikassee!«
In der Hand trägt er wie eine Fahne einen dicken Hahn. Die grüngoldenen Schwanzfedern schimmern, der Kamm leuchtet purpurn, am Schnabel hängen ein paar Blutstropfen. Obschon ich gut gegessen habe, läuft mir das Wasser im Munde zusammen.
Willy schwenkt das Tier selig hin und her. Frau Homeyer richtet sich auf und stößt einen Schrei aus. »Willy! Wo hast du den her?«
Willy berichtet stolz, dass er ihn soeben hinter dem Schuppen gesichtet, gefangen und geschlachtet habe, alles in zwei Minuten. Er klopft seiner Mutter auf den Rücken. »Das haben wir draußen gelernt. Willy war nicht umsonst mal stellvertretender Küchenbulle.«
Sie sieht ihn an, als hätte er eine Bombe verschluckt. Dann ruft sie nach ihrem Mann. Gebrochen stöhnt sie: »Oskar, sieh dir das an – er hat Bindings Zuchthahn geschlachtet!«
»Wieso Binding?«, fragt Willy.
»Der Hahn gehört doch Binding nebenan! Dem Milchhändler! O Gott, wie konntest du so was machen?« Frau Homeyer sinkt auf einen Stuhl.
»Ich werde doch solch einen Braten nicht laufen lassen«, sagt Willy erstaunt, »das hat man schon so im Griff.«
Frau Homeyer kann sich nicht beruhigen. »Das wird ja was geben! Dieser Binding ist solch ein Wutkopp!«
»Wofür hältst du mich eigentlich?«, fragt Willy jetzt ernstlich beleidigt, »meinst du denn, mich hätte nur eine Maus
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