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Der Weg zurück

Der Weg zurück

Titel: Der Weg zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E.M. Remarque
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mit, in der die dünne, abgehackte Stimme beinahe ertrinkt.
    Eine aufregende, ungewisse Spannung lagert über dem Platz. Die Menge steht wie eine Mauer. Fast alles Soldaten. Viele mit ihren Frauen. Die schweigsamen, verschlossenen Gesichter haben denselben Ausdruck wie im Felde, wenn sie unter den Stahlhelmen hinweg nach dem Feinde spähten. Aber in den Blicken liegt jetzt plötzlich noch etwas anderes: die Ahnung einer Zukunft, die unfassbare Erwartung eines anderen Lebens. – Vom Theater her kommen Rufe. Ein dumpfes Brausen antwortet.
    »Kinder, jetzt geht’s ran!«, sagt Willy begeistert. Arme heben sich. Ein Ruck geht durch die Menge. Die Reihen geraten in Bewegung. Ein Zug formiert sich. Schreie ertönen: »Vorwärts, Kameraden!« Wie ein gewaltiger Atemzug rauscht der Marschtritt über das Pflaster. Wir schwenken ohne Besinnen ein.
    Rechts von uns geht ein Artillerist. Vor uns ein Pionier. Gruppe fügt sich zu Gruppe. Nur wenige kennen sich. Trotzdem sind wir sofort miteinander vertraut. Soldaten brauchen nichts voneinander zu wissen. Sie sind Kameraden, das ist genug. »Los, Otto, komm auch mit!«, ruft der Pionier vor uns einem anderen zu, der stehen geblieben ist.
    Der zögert. Er hat seine Frau bei sich. Sie schiebt ihren Arm unter den seinen und sieht ihn an. Er lächelt verlegen: »Nachher, Franz.«
    Willy zieht eine Grimasse. »Wenn die Unterröcke erst dazwischenkommen, ist die richtige Kameradschaft bald zum Deubel, passt mal auf!«
    »Ach Quatsch«, erwidert der Pionier und gibt ihm eine Zigarette, »Weiber sind das halbe Leben. Bloß alles zu seiner Zeit.«
    Wir fallen unwillkürlich in Gleichschritt. Das ist ein anderes Marschieren als sonst. Das Pflaster dröhnt, und wie ein Blitz fliegt über den Kolonnen eine wilde, atemlose Hoffnung auf: als ginge es jetzt geradewegs in ein Dasein der Freiheit und Gerechtigkeit hinein.
    Doch schon nach wenigen hundert Metern stoppt der Zug. Er hält vor der Wohnung des Bürgermeisters. Ein paar Arbeiter rütteln an der Haustür. Es bleibt still; aber hinter den geschlossenen Fenstern sieht man einen Augenblick das bleiche Gesicht einer Frau. Das Rütteln verstärkt sich, und ein Stein fliegt gegen das Fenster. Ein zweiter folgt. Klirrend splittert das Glas in den Vorgarten.
    Da erscheint der Bürgermeister auf dem Balkon der ersten Etage. Zurufe fliegen ihm entgegen. Er versucht, etwas zu beteuern, aber niemand hört auf ihn. »Los! Mitkommen!«, schreit jemand.
    Der Bürgermeister zuckt die Achseln und nickt. Wenige Minuten später marschiert er an der Spitze des Zuges. Der Nächste, der herausgeholt wird, ist der Leiter des Lebensmittelamtes. Dann kommt ein verstörter Kahlkopf an die Reihe, der Butterschiebungen gemacht haben soll. Einen Getreidehändler erwischen wir nicht mehr – der ist rechtzeitig getürmt, als er uns kommen hörte.
    Der Zug marschiert zum Schlosshof und staut sich vor dem Eingang des Bezirkskommandos. Ein Soldat springt die Treppe empor und geht hinein. Wir warten. Alle Fenster sind hell.
    Endlich öffnet sich die Tür wieder. Wir recken die Köpfe. Ein Mann mit einer Aktentasche tritt heraus. Er sucht Blätter hervor und beginnt mit gleichmäßiger Stimme eine Rede abzulesen. Wir lauschen angestrengt. Willy hält beide Hände an seine großen Ohren. Da er einen Kopf größer als alle anderen ist, versteht er die Sätze besser und wiederholt sie. Aber die Worte plätschern über uns hin. Sie klingen und verklingen, doch sie treffen uns nicht, sie reißen uns nicht mit, sie rütteln uns nicht auf, sie plätschern nur und plätschern.
    Wir werden unruhig. Wir verstehen das nicht. Wir sind gewohnt zu handeln. Es ist doch Revolution! Da muss doch was geschehen! Aber der Mann da oben redet nur und redet. Er mahnt zur Ruhe und Besonnenheit. Dabei ist noch niemand unbesonnen gewesen. Endlich tritt er ab. »Wer war das?«, frage ich enttäuscht.
    Der Artillerist neben uns weiß Bescheid. »Der Vorsitzende vom Arbeiter- und Soldatenrat. War früher, glaube ich, Zahnarzt.«
    »Aha!«, brummt Willy und dreht unbehaglich seinen roten Schädel hin und her. »So ein Quatsch! Ich habe gedacht, es ginge gleich zum Bahnhof und dann direkt nach Berlin.«
    Rufe aus der Menge werden laut und pflanzen sich fort. Der Bürgermeister soll reden. Er wird die Treppe hinaufgeschoben. Mit ruhiger Stimme erklärt er, es würde alles genau untersucht werden. Neben ihm stehen schlotternd die beiden Schieber. Sie schwitzen vor Angst. Dabei geschieht ihnen gar

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