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Der Weg zurück

Der Weg zurück

Titel: Der Weg zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E.M. Remarque
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gesehen? Ich bin doch kein Anfänger! Es ist genau der Zehnte, den ich erwische. Ein Jubiläumshahn! Den können wir in voller Ruhe essen, dieser Binding hat keine Ahnung davon.« Er schüttelt ihn zärtlich. »Du sollst mir schmecken! Wollen wir ihn kochen oder braten?«
    »Glaubst du denn, ich werde ein Stück davon essen?«, ruft Frau Homeyer außer sich, »sofort bringst du ihn zurück!«
    »Ich bin doch nicht verrückt«, erklärt Willy.
    »Du hast ihn doch gestohlen«, klagt sie verzweifelt.
    »Gestohlen?« Willy bricht in ein Gelächter aus. »Das wäre ja noch schöner. Requiriert ist der! Besorgt! Gefunden! – Gestohlen? Wenn man Geld wegnimmt, da kann man von Stehlen reden, aber doch nicht, wenn man was zu fressen schnappt. Da hätten wir schon viel gestohlen, Ernst, was?«
    »Aber klar«, sage ich, »der Hahn ist dir zugelaufen, Willy. Genau wie damals der vom Batterieführer der Zweiten in Staden. Weißt du noch, wie du daraus für die ganze Kompanie Hühnerfrikassee gemacht hast? Eins zu eins – ein Huhn auf ein Pferd?«
    Willy grinst geschmeichelt und tupft mit der Hand auf die Platte des Kochherdes. »Kalt«, sagt er enttäuscht und wendet sich an seine Mutter. »Habt ihr denn keine Kohlen?«
    Frau Homeyer ist vor Aufregung die Sprache weggeblieben. Sie kann nur den Kopf schütteln. Willy winkt begütigend. »Besorge ich morgen auch. Einstweilen können wir ja dann diesen alten Stuhl hier nehmen, der ist sowieso nichts mehr wert.«
    Frau Homeyer sieht ihren Sohn erneut fassungslos an. Dann reißt sie ihm erst den Stuhl und darauf den Hahn aus den Fingern und tritt den Weg zu Milchhändler Binding an.
    Willy ist ehrlich entrüstet. »Da geht er hin und singt nicht mehr«, sagt er schwermütig. »Verstehst du das, Ernst?«
    Dass wir den Stuhl nicht nehmen können, obschon wir im Felde einmal ein ganzes Klavier verbrannt haben, um einen Apfelschimmel weich zu kriegen, verstehe ich zur Not. Und dass wir hier zu Hause nicht mehr dem unwillkürlichen Zucken unserer Hände nachgeben dürfen, obwohl draußen alles Fressbare Sache des Glücks und nicht der Moral war, begreife ich vielleicht auch noch. Aber dass der Hahn, der doch nun mal tot ist, zurückgebracht wird, wo sogar ein Rekrut schon wissen müsste, dass so was nur unnütze Scherereien gibt, das finde ich ganz und gar blödsinnig.
    »Wenn das Mode wird, verhungern wir hier noch, pass auf«, behauptet Willy aufgewühlt. »In einer halben Stunde hätten wir das schönste Hühnerfrikassee gehabt, wenn wir unter uns gewesen wären. Ich hätte uns eine gelbe Soße dazu gemacht.«
    Er lässt den Blick zwischen Kochherd und Tür hin und her wandern. »Am besten ist es, wir verschwinden«, schlage ich vor, »hier gibt’s nur noch dicke Luft.«
    Aber Frau Homeyer kommt schon zurück. »Er war nicht zu Hause«, sagt sie atemlos und will aufgeregt weitersprechen, da sieht sie, dass Willy sich angezogen hat. Darüber vergisst sie alles. »Du willst schon weg?«
    »Bisschen Patrouille gehen, Mama«, sagt er lachend.
    Sie beginnt zu weinen. Willy klopft ihr verlegen auf die Schulter. »Ich komme ja wieder. Jetzt kommen wir ja immer wieder. Viel zu oft, pass mal auf …«
    Seite an Seite, mit großen Schritten, die Hände in den Taschen, gehen wir die Schlossstraße entlang. »Wollen wir Ludwig nicht abholen?«, frage ich.
    Willy schüttelt den Kopf. »Lieber schlafen lassen. Ist besser für ihn.«
    Die Stadt ist unruhig. Lastautos mit Matrosen rasen über die Straßen. Rote Fahnen flattern.
    Vor dem Rathaus werden Stöße von Flugblättern abgeladen und verteilt. Die Leute reißen sie den Matrosen aus den Händen und überfliegen sie gierig. Ihre Augen glänzen. Ein Windstoß fasst in die Packen und wirbelt die Bekanntmachungen wie einen Schwarm weißer Tauben hoch. Die Blätter fangen sich in den kahlen Ästen der Bäume und bleiben dort raschelnd hängen.
    »Kameraden«, sagt ein alter Mann in einem feldgrauen Mantel neben uns, »Kameraden, jetzt wird es besser.« Sein Mund zittert.
    »Verdammt, hier scheint was los zu sein«, sage ich.
    Wir verdoppeln unsere Schritte. Je näher wir zum Domhof kommen, desto stärker wird das Gedränge. Der Platz ist voller Menschen. Auf den Stufen des Theaters steht ein Soldat und redet. Das kreidige Licht einer Karbidlampe flackert über sein Gesicht. Wir können nicht richtig verstehen, was er spricht, denn der Wind faucht in langen, unregelmäßigen Stößen über den Platz und bringt vom Dom jedes Mal eine Welle Orgelmusik

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