Der Weg zurück
kleinen Hause hinüber. »Salü, alter Kasten! Jetzt hat Reserve Ruhe.« Wir wollen stehen bleiben. Doch Willy wehrt ab. »Erst bringen wir Ludwig weg«, erklärt er kampflustig, »meinen Kartoffelsalat und meine Ermahnungen kriege ich früh genug.«
Unterwegs halten wir an und säubern uns, damit unsere Eltern nicht sehen, dass wir gerade aus einer Schlägerei kommen. Ich wische Ludwigs Gesicht ab, und wir machen seinen Verband los, um die blutigen Stellen zu verdecken, weil seine Mutter sich sonst leicht erschrecken könnte. Er muss sowieso später zum Lazarett und sich neu verbinden lassen.
Wir kommen ruhig hin. Ludwig sieht immer noch sehr angegriffen aus. »Mach dir nichts draus«, sage ich und gebe ihm die Hand. Willy legt ihm seine Pranke um die Schultern. »Kann jedem mal passieren, alter Junge. Ohne den Schuss hättest du Gulasch aus ihnen gemacht!«
Ludwig nickt uns zu und geht hinein. Wir sehen ihm nach, ob er auch richtig die Treppe hinaufkommt. Er ist schon halb oben, da fällt Willy plötzlich noch etwas ein. »Das nächste Mal treten, Ludwig«, ruft er beschwörend hinter ihm her, »immer nur treten! Nie rankommen lassen in solchen Fällen!« Dann lässt er befriedigt die Haustür zufallen.
»Ich möchte wissen, was er seit ein paar Wochen hat«, sage ich. Willy kratzt sich den Schädel. »Es wird die Ruhr sein«, meint er, »denn Ludwig sonst! – Weißt du noch, wie er den Tank bei Bixschoote erledigte? – Ganz allein? Das war nicht so einfach, mein lieber Scholli –«
Er lupft seinen Tornister an. »Also mach’s gut, Ernst – ich will jetzt mal nachsehen, was Familie Homeyer im letzten halben Jahr gemacht hat. Eine Stunde Rührung schätze ich, dann geht’s los mit dem Erziehen. Meine Mutter – Mensch, das wäre ein Feldweibel geworden! Ein goldenes Herz hat die Alte – aber in einer Fassung von Granit!«
Ich gehe allein weiter, und auf einmal ist die Welt verändert. In meinen Ohren rauscht es, als ströme ein Fluss unter dem Pflaster her, und ich sehe und höre nicht eher mehr etwas, als bis ich vor unserm Hause stehe. Langsam gehe ich hinauf. über der Tür hängt ein Schild »Herzlich willkommen!«, und ein Strauß Blumen steckt daneben. Sie haben mich schon kommen sehen und stehen alle da, meine Schwestern – hinter ihnen ist das Wohnzimmer zu sehen, auf dem Tisch steht Essen und alles ist feierlich. – »Was macht ihr denn für Unsinn«, sage ich, »Blumen und alles – wozu denn? – so wichtig ist das doch nicht – weshalb weinst du denn, Mutter? – ich bin doch wieder da – und der Krieg ist zu Ende – da braucht man doch nicht zu weinen –«, und dann erst merke ich, dass mir selbst die Tränen salzig in die Schnauze laufen.
II
Wir haben Kartoffelpuffer mit Eiern und Wurst gegessen – eine wunderbare Mahlzeit. Fast zwei Jahre ist es her, seit ich zuletzt ein Ei gesehen habe – von Kartoffelpuffern ganz zu schweigen.
Jetzt sitzen wir satt und behaglich um den großen Tisch im Wohnzimmer und trinken Eichelkaffee mit Zuckerersatz. Die Lampe brennt, der Kanarienvogel singt, sogar der Ofen ist warm, und Wolf liegt unter dem Tisch und schläft. Es ist so schön, wie es nur sein kann.
»Nun erzähl mal, was du alles erlebt hast, Ernst«, sagt mein Vater.
»Erlebt –«, erwidere ich und denke nach, »erlebt habe ich eigentlich gar nichts. Es war doch andauernd Krieg, was soll man da schon erleben?«
Sosehr ich mir auch den Kopf zerbreche, mir fällt nichts Rechtes ein. Von den Sachen draußen kann man mit Zivilisten nicht reden, und etwas anderes kenne ich ja nicht. »Ihr habt doch sicher hier viel mehr erlebt«, sage ich entschuldigend.
Das haben sie. Meine Schwestern erzählen, wie sie das Abendbrot zusammenhamstern mussten. Zweimal ist ihnen von den Gendarmen alles auf den Bahnhöfen abgenommen worden. Beim dritten Mal haben sie die Eier in die Mäntel genäht, die Wurst in die Blusen gesteckt, und die Kartoffeln in Taschen unter den Röcken verborgen. Da sind sie durchgekommen.
Ich höre ihnen etwas abwesend zu. Sie sind groß geworden, seit ich sie zum letzten Mal gesehen habe. Vielleicht habe ich damals auch nicht so darauf geachtet, deshalb fällt es mir umso mehr auf. Ilse muss schon über siebzehn sein. Wie die Zeit vergeht! –
»Weißt du, dass Regierungsrat Pleister gestorben ist?«, fragt mein Vater.
Ich schüttle den Kopf. »Wann denn?«
»Im Juli, ungefähr um den zwanzigsten herum. –«
Das Wasser auf dem Ofen singt. Ich spiele mit den Fransen der
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