Der Weg zurück
entsteht. Der Alte wirft einen schiefen Blick herüber und fährt fort: »Doch das können wir wohl nicht gegeneinanderstellen. Sie haben dem Tode furchtlos ins eherne Antlitz gesehen und Ihre große Pflicht getan, und wenn auch der Endsieg unseren Waffen nicht beschieden war, so wollen wir jetzt umso mehr in heißer Liebe zu unserm schwergeprüften Vaterlande zusammenstehen, wir wollen wieder aufbauen trotz aller feindlichen Mächte, im Sinne unseres Altmeisters Goethe, der so knorrig aus den Jahrhunderten in unsere verworrene Zeit herübermahnt: Allen Gewalten zum Trutz sich erhalten!«
Die Stimme des Alten sinkt um eine Terz. Sie trägt jetzt einen Flor und ist in Salböl gebadet. Ein Ruck geht durch die schwarze Schar der Lehrer. Ihre Gesichter zeigen Sammlung und Ernst. »Besonders gedenken aber wollen wir der gefallenen Zöglinge unserer Anstalt, die freudig hinausgeeilt sind, um die Heimat zu schützen, und geblieben sind auf dem Felde der Ehre. Einundzwanzig Kameraden sind nicht mehr unter uns – einundzwanzig Kämpfer haben den ruhmreichen Tod der Waffen gefunden – einundzwanzig Helden ruhen in fremder Erde aus vom Klirren der Schlacht und schlummern den ewigen Schlaf unterm grünen Rasen …«
In diesem Augenblick ertönt ein kurzes, brüllendes Gelächter. Der Direktor hält peinlich betroffen inne. Das Gelächter geht von Willy aus, der klotzig wie ein Kleiderschrank dasteht. Sein Gesicht ist puterrot, so wütend ist er.
»Grüner Rasen – grüner Rasen –«, stottert er, »ewiger Schlaf? Im Trichterdreck liegen sie, kaputtgeschossen, zerrissen, im Sumpf versackt –. Grüner Rasen! Wir sind hier doch nicht in der Gesangstunde!« Er fuchtelt mit den Armen wie eine Windmühle im Sturm. »Heldentod! Wie ihr euch das vorstellt! Wollen Sie wissen, wie der kleine Hoyer gestorben ist? Den ganzen Tag hat er im Drahtverhau gelegen und geschrien, und die Därme hingen ihm wie Makkaroni aus dem Bauch. Dann hat ihm ein Sprengstück die Finger weggerissen und zwei Stunden später einen Fetzen vom Bein, und er hat immer noch gelebt und versucht, sich mit der anderen Hand die Därme reinzustopfen, und schließlich abends war er fertig. Als wir dann heran konnten, nachts, war er durchlöchert wie ein Reibeisen. Erzählen Sie doch seiner Mutter, wie er gestorben ist, wenn Sie Courage haben!«
Der Direktor ist bleich geworden. Er schwankt, ob er Disziplin wahren oder begütigen soll. Aber er kommt weder zum einen noch zum andern.
»Herr Direktor«, fängt Albert Troßke an, »wir sind nicht hier, um von Ihnen zu hören, dass wir unsere Sache gut gemacht haben, trotzdem wir leider nicht siegen konnten. Darauf scheißen wir. –«
Der Direktor zuckt zusammen, mit ihm das ganze Kollegium, die Aula wankt, die Orgel bebt. »Ich muss doch bitten, wenigstens im Ausdruck …«, versucht er entrüstet.
»Scheiße, Scheiße und nochmals Scheiße!«, wiederholt Albert, »das war jahrelang unser drittes Wort, damit Sie es endlich einmal wissen! Wenn es uns draußen so dreckig ging, dass wir Ihren ganzen Quatsch schon längst vergessen hatten, haben wir die Zähne zusammengebissen und Scheiße gesagt, und dann ging es wieder. Sie scheinen ja gar nicht zu ahnen, was los ist! Hier kommen keine braven Zöglinge, hier kommen keine lieben Schüler, hier kommen Soldaten!«
»Aber meine Herren«, ruft der Alte fast flehentlich, »ein Missverständnis – ein peinliches Missverständnis …«
Er kann nicht zu Ende reden. Er wird unterbrochen von Helmut Reinersmann, der an der Yser seinen verwundeten Bruder im schwersten Feuer zurückholte und ihn tot am Verbandplatz abladen musste.
»Gefallen«, sagt er wild, »gefallen sind die nicht, damit Reden darüber gehalten werden. Das sind unsere Kameraden, fertig, und wir wollen nicht, dass darüber gequatscht wird!«
Ein mächtiges Durcheinander entsteht. Der Direktor steht entsetzt und völlig hilflos da. Das Lehrerkollegium gleicht einer Schar aufgescheuchter Hühner. Nur zwei Lehrer sind ruhig. Sie waren Soldaten.
Der Alte versucht, uns auf jeden Fall zu besänftigen. Wir sind zu viele, und Willy steht zu mächtig trompetend vor ihm. Wer weiß auch, was von diesen verwilderten Kerlen noch zu erwarten ist, vielleicht ziehen sie in der nächsten Minute sogar noch Handgranaten aus den Taschen. Er wedelt mit seinen Armen, wie ein Erzengel mit den Flügeln. Aber niemand hört auf ihn.
Doch auf einmal ebbt der Tumult ab. Ludwig Breyer ist vorgetreten. Es wird ruhig. »Herr
Weitere Kostenlose Bücher