Der Weg zurück
Direktor«, sagt Ludwig mit seiner klaren Stimme, »Sie haben den Krieg auf Ihre Weise gesehen. Mit fliegenden Fahnen, mit Begeisterung und Marschmusik. Aber Sie haben ihn nur bis zum Bahnhof gesehen, von dem wir abfuhren. Wir wollen Sie deshalb nicht tadeln. Wir alle haben ja ebenso gedacht wie Sie. Aber inzwischen haben wir die andere Seite kennengelernt. Das Pathos von 1914 zerstob davor bald zu nichts. Wir haben trotzdem durchgehalten, denn etwas Tieferes hielt uns zusammen, etwas, das erst draußen entstanden ist, eine Verantwortung, von der Sie nichts wissen, und über die man nicht reden kann.«
Ludwig sieht einen Augenblick vor sich hin. Dann streicht er sich über die Stirn und spricht weiter. »Wir verlangen keine Rechenschaft von Ihnen – das wäre töricht, denn niemand hat gewusst, was kam. Aber wir verlangen von Ihnen, dass Sie uns nicht wieder vorschreiben, wie wir über diese Dinge denken sollen. Wir sind begeistert ausgezogen, das Wort Vaterland auf den Lippen – und wir sind still heimgekehrt, den Begriff Vaterland im Herzen. Darum bitten wir Sie jetzt, zu schweigen. Lassen Sie die großen Worte. Sie passen nicht mehr für uns. Sie passen auch nicht für unsere toten Kameraden. Wir haben sie sterben sehen. Die Erinnerung daran ist noch so nahe, dass wir es nicht ertragen können, wenn über sie so gesprochen wird, wie Sie es tun. Sie sind für mehr gestorben als dafür.«
Es ist ganz still geworden. Der Direktor presst die Hände zusammen. »Aber Breyer«, sagt er leise, »so war es doch nicht gemeint. –«
Ludwig schweigt.
Nach einer Weile fährt der Direktor fort. »Dann sagen Sie mir doch selbst, was Sie wollen.«
Wir sehen uns an. Was wir wollen? Ja, wenn das so einfach in einem Satz zu sagen wäre. Ein starkes Gefühl brodelt unklar in uns – – aber gleich Worte? Worte haben wir dafür noch nicht. Vielleicht werden wir sie später einmal haben!
Nach einem Augenblick des Schweigens jedoch drängt Westerholt sich durch und pflanzt sich vor dem Direktor auf. »Sprechen wir über das Praktische«, sagt er, »das ist jetzt am nötigsten. Wie haben Sie sich das mit uns gedacht? Hier stehen siebzig Soldaten, die wieder auf die Schulbänke zurück sollen. Ich sage Ihnen gleich: Wir wissen fast nichts mehr von Ihrem Lehrstoff, aber wir haben auch keine Lust, noch lange hier zu sitzen.«
Der Direktor fasst sich. Er erklärt, dass über diese Dinge noch keine Anweisung von der Behörde vorliege. Einstweilen müssten wir uns deshalb wohl auf die Klassen verteilen, aus denen wir fortgegangen seien. Später würde man dann ja sehen, was zu machen wäre.
Gemurmel und Gelächter antworten ihm.
»Das glauben Sie doch wohl selber nicht«, sagt Willy ärgerlich, »dass wir uns zu Kindern, die nicht Soldaten waren, auf die Bank setzen und brav die Finger hochhalten, wenn wir was wissen. Wir bleiben zusammen.«
Jetzt erst sehen wir richtig, wie komisch das alles hier ist. Jahrelang durften wir schießen, stechen und töten – aber nun soll es wichtig sein, ob wir aus der zweiten oder dritten Klasse dazu aufgebrochen sind. Der eine konnte schon mit zwei, der andere erst mit einer Unbekannten rechnen. Das sind Unterschiede, die hier gelten.
Der Direktor verspricht, einen Antrag zu stellen, um Sonderkurse für die Soldaten zu erwirken.
»Darauf können wir nicht warten«, sagt Albert Troßke kurz. »Es ist besser, wir machen die Sache selbst.«
Der Direktor erwidert nichts; schweigend geht er zur Tür.
Die Lehrer folgen. Wir trampeln ebenfalls hinaus. Vorher jedoch nimmt Willy, dem die Sache zu still abgegangen ist, die beiden Topfgewächse vom Rednerpult und schmettert sie auf den Boden. »Das Gemüse habe ich sowieso nie leiden können«, sagt er grimmig. Den Lorbeerkranz stülpt er Westerholt auf den Schädel. »Koch dir Suppe daraus!«
Die Zigarren und Pfeifen qualmen. Wir sitzen mit den Kriegsteilnehmern des Gymnasiums zusammen und beraten. über hundert Soldaten, achtzehn Leutnants, dreißig Feldwebel und Unteroffiziere.
Westerholt hat ein Heft der alten Schulordnung mitgebracht und liest laut daraus vor. Er kommt nur langsam weiter, weil hinter jedem Absatz ein Gelächter ausbricht. Wir können nicht verstehen, dass das einmal für uns gegolten hat.
Westerholt macht sich besonders darüber lustig, dass wir vor dem Krieg ohne Erlaubnis der Klassenlehrer nach sieben Uhr abends nicht mehr auf der Straße sein durften. Aber Willy dämpft ihn. »Sei du ruhig, Alwin«, ruft er ihm zu, »du
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