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Der Weg zurück

Der Weg zurück

Titel: Der Weg zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E.M. Remarque
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zucke ich die Achseln. »Vielleicht versteht er was …«
    Der Rechnungsrat starrt mich einen Moment an. Dann schüttelt er sich vor Vergnügen. »Sehr gut«, kräht er, »vielleicht versteht er was! Nein, mein Lieber, so was ist angeboren! Ein Sattler! Warum denn nicht gleich ein Schneider oder ein Schuster?«
    Er wendet sich wieder zu den andern. Ich ärgere mich über sein Gerede; denn es geht mir gegen den Strich, dass er über die Schuster so wegwerfend spricht. Die sind ebenso gut Soldaten gewesen wie die besseren Leute. Adolf Bethke war auch ein Schuster, und er verstand vom Kriegen mehr als mancher Major. Bei uns kam es nur auf den Mann an und nicht auf den Beruf. Misstrauisch mustere ich den Rechnungsrat. Er wirft jetzt mit Zitaten um sich, und es mag sein, dass er die Bildung mit Löffeln gefressen hat; aber wenn es darauf ankäme, dass mich jemand aus dem Feuer holen müsste, würde ich mich lieber auf Adolf Bethke verlassen.
    Ich bin froh, als wir endlich am Tisch sitzen. Neben mir habe ich ein junges Mädchen mit einer Schwanenboa um den Hals. Sie gefällt mir gut, aber ich weiß nicht, was ich mit ihr anfangen soll. Als Soldat hat man wenig gesprochen, und schon gar nicht zu Damen. Die andern unterhalten sich lebhaft. Ich versuche, zuzuhören, um etwas zu profitieren.
    Oben am Tisch sitzt der Rechnungsrat, der gerade erklärt, wenn wir zwei Monate länger ausgehalten hätten, wäre der Krieg gewonnen gewesen. Mir wird fast schlecht bei dem Quatsch, denn jeder Soldat weiß, dass wir einfach keine Munition und keine Leute mehr hatten. Ihm gegenüber erzählt eine Dame von ihrem gefallenen Mann, und sie macht sich so wichtig dabei, als wäre sie gefallen und nicht er. Weiter unten wird von Aktien und Friedensbedingungen geredet, und alle wissen es natürlich besser als die Leute, die damit wirklich zu tun haben. Ein Mann mit einer Hakennase erzählt mit so scheinheiligem Mitleid über die Frau seines Freundes eine Geschichte, dass man ihm für seine schlecht verborgene Schadenfreude ein Glas in den Schnabel werfen sollte.
    Mir wird ganz dumm im Kopf über dem Gerede, und ich kann bald überhaupt nicht mehr richtig folgen. Das Mädchen mit der Schwanenboa fragt mich spöttisch, ob ich im Felde stumm geworden sei.
    »Nee«, antworte ich und denke: Kosole und Tjaden müssten hier dazwischensitzen, die würden schön lachen über den Salm, den ihr verzapft und auf den ihr noch stolz seid. Aber es wurmt mich doch etwas, dass ich nicht mit einer guten Bemerkung mal zeigen kann, was ich denke.
    Gottlob erscheinen in diesem Moment knusperige Koteletts auf dem Tisch. Ich schnuppere. Es sind echte Schweinskoteletts, in richtigem Fett gebraten. Ihr Anblick lässt mich alles verschmerzen. Ich lange mir ein gutes Stück herüber und fange voll Genuss an zu kauen. Es schmeckt großartig. Endlos lange ist es her, dass ich frische Koteletts gegessen habe. In Flandern war das zum letzten Mal – da hatten wir zwei Ferkel gefangen –, wir fraßen sie an einem wunderbar milden Sommerabend bis zum Gerippe auf – damals lebte Katczinsky noch, ach Kat, und Haie Westhus, das waren andere Kerle als die hier in der Heimat – ich stütze die Arme auf und vergesse alles um mich herum, so nahe sehe ich sie vor mir. Die Tiere waren sehr zart – Kartoffelpuffer hatten wir dazu gebacken – und Leer war dabei und Paul Bäumer – ja, Paul – ich höre und sehe nichts mehr, ich verliere mich ganz in Erinnerungen …
    Ein Kichern weckt mich. Am Tisch ist es still geworden. Tante Lina sieht aus wie eine Flasche Schwefelsäure. Das Mädchen neben mir unterdrückt ein Lachen. Alle sehen zu mir hin.
    Der Schweiß bricht mir auf einmal aus. Da sitze ich, wie damals in Flandern, selbstvergessen, die Ellenbogen aufgestemmt, den Knochen in der Pfote, die Finger voll Fett, und knabbere den Kotelettrest ab – die andern aber essen sauber mit Messer und Gabel.
    Blutrot starre ich vor mich hin und lege den Knochen fort. Wie konnte ich mich nur so vergessen? Doch ich bin es ja gar nicht anders gewöhnt: im Felde haben wir immer so gegessen, da hatten wir höchstens einen Löffel oder eine Gabel, aber nie einen Teller.
    In meine Beschämung mischt sich plötzlich Wut. Wut auf diesen Onkel Karl, der betont laut anfängt, über Kriegsanleihe zu reden; Wut auf alle diese Leute, die sich so wichtig gebärden mit ihren klugen Worten; Wut auf diese ganze Welt hier, die so selbstverständlich mit ihrem Kleinkram dahinlebt, als wären die ungeheuren

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