Der Weg zurück
der Graben voll Froschlaich und Algen. Helle, grüne Stauden von Wasserpest schwankten in den kleinen, klaren Wellen, langbeinige Schlittschuhläufer zickzackten zwischen den Stängeln der Schilfrohre, und Schwärme von Stichlingen warfen in der Sonne ihre eiligen, schmalen Schatten auf den goldgefleckten Sand.
Es ist kalt und feucht. In langer Reihe stehen die Pappeln neben dem Graben. Ihre Äste sind kahl, aber ein leichter, blauer Hauch hängt in ihnen. Eines Tages werden sie wieder grünen und rauschen, und die Sonne wird wieder warm und selig über diesem Stück Erde liegen, das so viele Erinnerungen meiner Jugend umfasst.
Ich stampfe auf die Uferböschung. Ein paar Fische huschen darunter hervor. Da kann ich mich nicht mehr bezähmen. Dort, wo der Graben schmäler wird, sodass ich mit gespreizten Beinen darüber stehen kann, lauere ich, bis ich mit der hohlen Hand zwei Stichlinge erwische. Ich schöpfe sie in mein Glas und betrachte sie.
Sie schießen hin und her, zierlich und vollkommen, mit ihren drei Stacheln auf dem Rücken, dem schlanken, braunen Körper und den schwirrenden Brustflossen. Das Wasser ist klar wie Kristall. Die Reflexe des Glases spiegeln sich darin. Und auf einmal setzt mir der Atem aus, so stark empfinde ich, wie schön das ist, dieses Wasser im Glase mit den Lichtern und Reflexen. Behutsam nehme ich es in die Hand und wandere weiter, ich halte es vorsichtig und sehe manchmal hinein, klopfenden Herzens, als hätte ich meine Jugend darin gefangen und trüge sie nun mit mir nach Hause. Ich hocke mich an den Rand der Tümpel, auf denen dicke Schichten Wasserlinsen schwimmen, und sehe die blau marmorierten Molche wie kleine Flatterminen hochpendeln, um Luft zu holen. Köcherfliegenlarven kriechen langsam durch den Schlamm, ein Gelbrandkäfer rudert träge über den Grund, unter einer modernden Wurzel hervor blicken mich die erstaunten Augen eines unbeweglichen Teichfrosches an. Ich sehe alles, und es ist mehr darin, als man sehen kann – es ist noch Erinnerung, Sehnsucht und das Glück der Vergangenheit darin.
Vorsichtig fasse ich mein Glas und gehe weiter, suchend, hoffend –. Der Wind weht, und blau liegen die Berge am Horizont. Aber plötzlich durchfährt mich ein rasender Schreck – runter, runter, Deckung, du stehst ja ganz frei im Blickfeld! – ich zucke zusammen in wahnsinniger Angst, ich spreize die Hände, um nach vorn hinter einen Baum zu stürzen, ich zittere und keuche, dann atme ich auf, vorbei – und sehe mich scheu um – niemand hat mich gesehen. Es dauert eine Weile, bis ich mich beruhige. Dann bücke ich mich nach dem Glas, das mir aus der Hand gefallen ist. Das Wasser ist verschüttet, doch die Fische zappeln noch darin. Ich beuge mich zum Graben hinunter und lasse frisches Wasser hineinlaufen.
Langsam gehe ich weiter und hänge meinen Gedanken nach. Der Wald kommt näher. Eine Katze strolcht über den Weg. Der Bahndamm schneidet durch die Felder bis zum Gehölz. Da könnte man Unterstände bauen, denke ich, ordentlich tief und mit Beton-decken – dann die Grabenlinie links entlangziehen mit Sappen und Horchposten und drüben ein paar Maschinengewehre – nein, zwei nur, die andern an das Gehölz, dadurch liegt das ganze Gelände dann fast unter Kreuzfeuer – die Pappeln müsste man abhauen, damit sie der feindlichen Artillerie das Ziel nicht markieren – und hinten am Hügel eine Anzahl Minenwerfer – dann lass sie nur kommen. –
Ein Zug pfeift. Ich blicke auf. Was mache ich da nur? – Ich bin hierhergegangen, um die Landschaft meiner Jugend wiederzufinden – und jetzt ziehe ich Schützengräben hindurch –. Es ist die Gewohnheit, denke ich, wir können keine Landschaft mehr sehen, nur Gelände – Gelände zum Angreifen und Verteidigen – die alte Mühle auf der Höhe ist keine Mühle – sie ist ein Stützpunkt – der Wald ist kein Wald – er ist Artilleriedeckung – immer spukt das wieder hinein. –
Ich schüttle es ab und versuche, an früher zu denken. Doch es gelingt mir nicht recht. Ich bin auch nicht mehr so froh wie vorhin und habe keine Lust, weiterzugehen. Ich kehre um.
Von Weitem sehe ich eine einsame Gestalt. Sie kommt mir entgegen. Es ist Georg Rahe.
»Was machst du denn hier?«, fragt er verwundert.
»Und du?«
»Nichts«, sagt er.
»Ich auch nichts«, antworte ich.
»Und das Einmachglas da?«, fragt er und sieht mich ein wenig spöttisch an. – Ich werde rot.
»Brauchst dich nicht zu schämen«, sagt er, »wolltest wohl mal
Weitere Kostenlose Bücher